: Schutzrechte für Ausländer
■ Interview mit der ersten Ausländerbeauftragten der DDR, der Berliner Pfarrerin Almuth Berger
taz: Ist Ihnen denn nach Gratulationen zu Ihrem neuen Posten zumute?
Berger: Mir ist schon etwas merkwüdig zumute, weil ich gar nicht genau weiß, wie ich diese Aufgabe schaffen kann. Ich spüre, daß hohe Erwartungen da sind - und weiß nicht, ob ich die erfüllen kann. Hinzu kommt die Schwierigkeit, daß ich das ganze nur noch für knapp vierzehn Tage mache. Das ist eine Berufung bis zur Wahl. Wir hoffen, daß diese Einrichtung auch unter einer neuen Regierung bestehen bleibt, aber das heißt nicht, daß auch die Person übernommen wird.
Sie wurden einstimmig vom Runden Tisch benannt?
Berger: Ich bin von der Arbeitsgruppe „Ausländerfragen“ am Runden Tisch nominiert worden.
Was werden Sie in der kurzen Zeit als erstes in Angriff nehmen?
Berger: Ein ganz konkreter erster Schritt wird sein, daß wir in allem größeren Städten „Telefone des Vertrauens“ für Ausländer einrichten. So eine Art Krisentelefon, wo sich die Leute beraten lassen können. Ganz gleich, worum es geht.
Welche Kompetenzen werden Sie haben, welche wünschen Sie sich?
Berger: Ich habe die Möglichkeit, jederzeit Informationen von allen staatlichen Stellen einzufordern, Ministerien, Betrieben etc. Ich habe ein Mitspracherecht beim Gesetzgebungsverfahren - also zum Beispiel bei der Frage, wie ein neues Ausländergesetz aussehen sollte. Das wichtigste in der aktuellen Situation ist mein Einspruchsrecht mit aufschiebender Wirkung bei allen Ausweisungsangelegenheiten und Abschiebungen. Hinzu kommt die Stimmung bei den Arbeitskollegen und in der Bevölkerung. Wenn ein Betriebsleiter weiß, er muß dreißig oder vierzig Leute entlassen, dann ist die Sache ziemlich klar, wen das zuerst trifft. Es gibt Fälle, wo sie mit Streik gedroht haben, falls die Ausländer nicht rausfliegen; Einwohner haben Unterschriften gegen Ausländer gesammelt.
Was soll mit den Menschen passieren, die aufgrund von regierungsabkommen bereits in der DDR arbeiten, aber nicht mehr zurückwollen. Mehrere tausend Vietnamesen sind bereits nach West-Berlin geflüchtet...
Berger: Das ist ein Problem ist: Wenn wir jetzt zum Beispiel durch ein Asylverfahren diesen Menschen die Möglichkeit zum Bleiben eröffnen, dann werden Länder wie Vietnam und Mozambique ihre Leute sehr schnell abziehen. Deswegen muß man sich das gründlich überlegen, wie wir einerseits den Menschen helfen, andererseits unseren Vorstellungen von Menschenwürde und Menschenrechten gerecht werden.
Unter den mittlerweile zahlreichen Ausländergruppen der BRD wird mit viel Enthusiasmus diskutiert, inwwieweit die DDR ein Einwanderungsland werden soll. Andererseits liest man in Zeitungen, daß die Leipziger Innenstadt während der traditionellen Montagsdemos „ausländerfrei“ ist, weil die sich nicht mehr auf die Straße trauen. Da steht doch ein Abgrund zwischen Realität und Utopie?
Berger: Ich halte trotzalledem eine Menge von Utopien und Visionen - das bringt schon mein Beruf mit sich. Ich halte nichts von dem Argument, eine multikulturelle Gesellschaft schon deshalb auszuschließen, weil die Leute hier so ausländerfeindlich sind.
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