: Wider die „Spitzel-Pest“
30.000 SchweizerInnen demonstrierten gegen Schnüffelstaat / Parlament berät über Einsetzung von Untersuchungskommission ■ Aus Basel Thomas Scheuer
Nachdem am Samstag in Bern rund 30.000 Menschen für die Abschaffung der politischen Polizei in der Schweiz demonstriert haben, stehen die jüngsten Schnüffelskandale des polizeilichen Staatsschutzes sowie des militärischen Geheimdienstes heute und morgen auf der Tagesordnung des Nationalrates. Das Parlament entscheidet darüber, ob eine parlamentarische Untersuchungskommission die jüngst enthüllten Überwachungsaktivitäten und Schnüffelarchive des eidgenössischen Militärdepartements (Verteidigungsministerium) unter die Lupe nehmen soll. Eine erste parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) hatte vor wenigen Monaten das flächendeckende Spitzelunwesen des schweizerischen Staatsschutzes (Bundespolizei - BuPo) ans Licht gebracht, dessen Ausmaß und Perfektion selbst der Stasi zur Ehre gereicht hätten: 900.000 Dossiers über Personen, Organisationen und Ereignisse orteten die VolksvertreterInnen. Die Skandallawine erfaßte nach dem polizeilichen Staatsschutz mittlerweile auch den militärischen Geheimdienst - die beide übrigens vom gleichen Offizier geführt wurden! Immer neue Überwachungskarteien und Internierungslisten sowie Details einer geheimen Widerstandsorganisation (Untergrundarmee), die im Besatzungsfall guerillamäßig hätte weiterkämpfen sollen, deuten das Ausmaß des Bedrohungswahns an, der in den Hirnen eidgenössischer Sicherheitsfanatiker bis heute konserviert wurde. Eine zweite PUK soll nun die Archive der Kommißköppe sichten.
Die Abschaffung der politischen Polizei forderten am Samstag mittag rund 30.000 Teilnehmer einer „Demonstration gegen den Schnüffel-Staat“ in Bern. Es war die größte Demonstration in der Schweiz seit der großen Friedensdemo 1983. Der Schriftsteller Adolf Muschg beklagte als Hauptredner die „Spitzel-Pest“, die in der Schweiz ausgebrochen sei und stellte die rhetorische Frage, ob es je eine subversivere Organisation als die Bundespolizei im Land gegeben habe. Der Kabarettist Franz Hohler verzichtete auf seinen Beitrag aus Ärger über die Privatscharmützel, die sich 100-200 vermummte Schwarzkittel am Rande mit der Polizei lieferten.
Das Komitee „Schluß mit dem Schnüffelstaat“, das zu der Großkundgebung aufgerufen hatte, will lieber mit massenhaften Anträgen auf Einsicht in die persönlichen Dossiers die BuPo-Verwaltung „erdrücken“ und die Forderung nach voller Akteneinsicht der Registrierten durchsetzen. Hauptanliegen bleibt jedoch die Abschaffung der politischen Polizei. Ob zu diesem Zweck eine Volksabstimmung lanciert wird, soll am kommenden Wochenende beraten werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen