: Come back der SPD in die Ostberliner Presseszene
■ Einige Seiten in der sozialdemokratischen Pressegeschichte zurückgeblättert
Sozialdemokraten sind dafür bekannt, daß sie die Dinge beim Namen nennen. so rufen sich die traditionsreichsten aller Genossen treffend „Damen und Herren“. Folgerichtig bezeichnen sie das, was andere eine Zeitung nennen würden, als 'Stattblatt‘.
'Stattblatt‘ soll wohl Nicht-Zeitung oder Antizeitung heißen, und der Name ist tatsächlich zutreffend. Vieles, was man mit Zeitungen so macht, kann man mit der SPD-Printe nicht machen: nasse Schuhe ausstopfen zum Beispiel oder als Altpapier sammeln. Es wäre einfach unanständig, das zu tun. Auch ist das Blatt nicht lesbar: seitenweise zufriedene Erfolgsmenschen, pausbäckige Selbstzufriedenheit, das Eiapopeia des Wir-lösen-alles, der entschlossene rosafarbene Blick in die deutsche Einheitszukunft und die eierkuchene Friede-Freude-Idylle in der Partei. Aber wer mag die Redakteure deswegen schelten, es ist nun mal eine Antizeitung.
Das Stattblatt kommt nicht aus dem Nichts. Der Kompaß-Verlag und die für den Druck bemühte Erich-Lezinsky-GmbH sind alte Bekannte auf dem Gesamtberliner Zeitungsmarkt. Allerdings muß man schon einige Seiten in der sozialdemokratischen Pressegeschichte zurückblättern, um Tradition und Herkunft des Stattblatts auszumachen.
Die Berliner Nachkriegsgeschichte kennt vier große Presseunternehmen der SPD. Das als erstes gestartete, vom Zentralausschuß der SPD besorgte „Das Volk“ setzte sich ab Juli 1945 für die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien ein. Nur ungern erinnert man Sozialdemokraten daran, daß SPDler zwangsvereinigt werden wollten. Aber nicht nur im 'Volk‘ saßen zu Einheitsbekundungen genötigte Sozialdemokraten, auch im Berliner Rundfunk (damals noch Sitz in Westberlin) zwang man die Mitarbeiter, für die Einigung der beiden verfeindeten Brüder zu senden.
Aber die zur Zusammenarbeit gepreßten Sozialdemokraten waren in der Übermacht. Da halfen die Briten. Zwar besannen sie sich erst spät - immerhin waren seit der Gründung der ersten SPD-Zeitung in Ostberlin acht Monate vergangen - auf ihre Möglichkeit, Zeitungen zu lizensieren, ließen dafür aber innerhalb weniger Monate gleich drei Unternehmungen zu, die die sozialdemokratische Enthaltsamkeit verkünden sollten: 'Der Sozialdemokrat‘, 'Der Telegraf‘, 'Das Spandauer Volksblatt‘.
Am 5. März 1946 erschien erstmals das 'Spandauer Volksblatt‘. Als Lizenzträger trat Erich Lezinsky auf. Mit einer für 30.000 Exemplare ausreichenden Papierzuteilung wollte es sich vor allem dem Spandauer Lokalgeschehen widmen, war vorerst aber mit dem Kampf gegen die Vereinigung der Arbeiterparteien befaßt.
So richtig grün waren sich Lezinsky und SPD nicht. Als die Partei 1946 ihre Presseholding schuf, bat der Verlag um Bedenkzeit. Ganz so freiwillig kann der dann doch vollzogene Eintritt in die Konzentration GmbH wohl nicht gewesen sein. Gleich nachdem die Alliierten 1949 alle Beschränkungen für das Pressewesen aufhoben, suchte Lezinsky mit seinem Blatt das Weite. Mit 60.000 Exemplaren Tagesauflage hatte das 'Spandauer Volksblatt‘ 1948 eine Höhe erreicht, die es nie wieder erreichen konnte.
Nun feiert die Erich-Lezinsky-Gesellschaft ihr Comeback im Gesamtberliner Geschäft. Sie druckt das 'Berliner Stattblatt‘.
Arno Scholz steht im Mittelpunkt der Geschichte des 'Telegraf‘, des wohl innovationsfreudigsten Presseunternehmens Berlins. Dessen an Titel, Stories und fehlgeschlagenen Versuchen reiche Weg hätte beinahe mit einem Eklat begonnen. Über die Frage des Zusammenschlusses der großen Arbeiterparteien konnte sich die Gruppe der als Lizenzträger vorgesehenen Sozialdemokraten nicht einig werden. Später schrieb Scholz, wie das Problem durch ihn geklärt wurde. „Einer aus dieser Gruppe ... ging zu Walter Ulbricht und versprach ihm, daß diese Zeitung keine Zeile gegen die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED bringen würde. - Als mir das zu Ohren kam, wurde ich beim britischen General Balfour vorstellig und erklärte ihm, daß ich in dieser Lizenzgruppe nicht mitarbeiten würde.“ Die Denunziation sollte sich lohnen.
Der 'Telegraf‘ versuchte sich mal als gesamtdeutsches, dann wieder als Börsenblatt, machte zeitweise in Kooperation mit westdeutschen Verlagen, projektierte sogar einen Europäischen Zusammenschluß der sozialdemokratischen Blätter. Als die Mauer kam, stieß auch Scholz an seine Grenzen: Nicht nur, daß durch das Fernbleiben der Pendler die Zahl der Käufer sank, auch der Markt hinter der Mauer blieb nun unerreichbar.
Nur noch etwa 100.000 Exemplare standen täglich zu Buche, als die Redakteure von den Nachrichtenagenturen die Meldung erhielten, daß die SPD-Presse-Holding das Aus für den 'Telegraf‘ und die 'Nacht-Depesche‘ beschlossen hatte. Zwei Tage später, am 30. Juni 1972, endete die Geschichte der Zeitung.
Eine dritte sozialdemokratische Zeitung hoben Partei und Briten im Juni 1946 aus der Taufe: 'Der Sozialdemokrat‘. Nicht nur, daß die SPD damit von den Alliierten eindeutig übervorteilt wurden, standen nun deren drei Blätter einem der CDU und zwei liberalen gegenüber. Auch die Nominierung eines „SPD-Verlag Berlin“ als Herausgeber ist einzigartig in der britischen Zulassungspraxis, hatten sie doch vorher und nachher nur Privatpersonen als Herausgeber geduldet.
Das zunächst mit 65.000 Exemplaren zugelassene Blatt kam im Oktober 1948 auf stolze 91.000, fiel dann aber innerhalb eines Jahres auf 20.000. Zeitweise war Willy Brandt Chefredakteur. Sie wurde schließlich als Tageszeitung eingestellt. Mehrere Monate danach, im Oktober 1954, ersteht sie als Wochenzeitung wieder auf, diesmal als 'Berliner Stimme‘, die Mitte der 60er Jahre in der Partei Konkurrenz erhielt: Um die 'Berliner Blätter für Sozialdemokraten‘ sammelte sich die Parteilinke.
Aber die 'Berliner Stimme‘ war nicht totzukriegen. In deren Verlag erscheint nun das 'Berliner Stattblatt‘ der Ost-SPD. Damit hat die SPD etwas wirklich Neues gebracht: Zwar ist Unlesbarkeit von Zeitungen nichts Neues in diesem Land, aber daß die Unlesbarkeit der Zeitung dem geschätzten Kunden schon im Titel versprochen wird, ist wahrhaft neu. Das ist auch - aber das hören Sozialdemokraten nicht so gern revolutionär. Es spricht eben einfach alles für sie.
Corinna Hanke
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