: Ökologische Konzeptionen der Parteien
■ Analyse der vorliegenden Programme der zur Volkskammerwahl antretenden Parteien von Dr. sc. Karl-Heinz Büchler und Prof. Dr. sc. Erika Maier - Hochschule für Ökonomie Berlin
Wer die in der DDR zur Wahl antretenden Parteien und Gruppierungen auf ihr ökologisches Konzept hin prüfen will, darf ihnen nicht nur auf den Mund sehen. Marktwirtschaft sozial und ökologisch, das klingt annehmbar und beruhigt das Gewissen. Jeder einigermaßen gebildete mensch weiß aber heute, daß Marktwirtschaft von sich aus nicht ökologiefreundlich ist und schon gar nicht die in der DDR angestauten Umweltfragen lösen wird.
Konkrete Konzepte werden benötigt, wie die Umweltsanierung der DDR erfolgen soll, welche Mittel dafür eingesetzt werden können, welche langfristigen Strategien und evtl. Einschränkungen auf anderen Gebieten zur Erhaltung der natürlichen Lebensbasis der Menschheit vorgeschlagen werden.
Was bieten die Wahlprogramme und Grundsatzdokumente der Parteien und Gruppierungen dazu an?
Ziele:
Zwischen den Parteien und Gruppierungen besteht Übereinstimmung darin, daß die Lösung ökologischer Probleme zu den Hauptzielen künftiger Wirtschaftsentwicklung gehört.
Die Mehrzahl verlangt einen ökologischen Umbau der Gesellschaft. Ökonomie und Ökologie müssen auf neue Weise miteinander verbunden und ein den veränderten globalen Bedingungen entsprechendes Verhältnis zwischen Mensch und Natur hergestellt werden.
In allen Programmen nehmen ökologische Zielstellungen einen breiten Raum ein.
Die DBD versteht sich als Partei all jener, „die an einer gesunden Umwelt interessiert sind“ und formuliert als eine zentrale Losung „Gesunde Umwelt für uns und kommende Generationen.„1
Die konsequenteste Ausrichtung auf ökologische Kriterien formulieren die Grünen (Grüne Partei, Grüne Liga, Gesellschaft für Natur und Umwelt). Die Grüne Partei fordert einen solchen ökologischen Umbau der Gesellschaft, daß künftig „von der Ökologie... alle anderen Aufgaben abzuleiten“ sind.2 Diese prinzipielle Umbewertung, nach der die Erhaltung der Umwelt vor wirtschaftlichem Wachstum und Konsum stehen, wird ausschließlich von den Grünen getragen. Die SPD hatte im Dezember 1989 noch von einer „Marktwirtschaft mit eindeutiger Unterordnung der Ökonomie unter die Ökologie„3 gesprochen. Davon ist sie mit ihrem Programmentwurf wieder abgerückt und bescheidet sich nunmehr auf eine „ökologisch orientierte, soziale Demokratie“.
Wege:
Zu den möglichen Wegen zur Realisierung der Zielstellungen äußern sich nicht alle Parteien und Gruppierungen ausführlich. Konkrete Vorstellungen entwickeln vor allem die sogenannten etablierten Parteien sowie die SPD, die Grüne Partei und der Demokratische Aufbruch. Im Prinzip übereinstimmend werden dabei folgende Wege genannt:
1. Ersatz der umweltschädigenden Technologien und Produktionskonzepte durch umweltschonende; Übergang von End -pipe-Technologien zu Backstop-Technologien; Nutzung wissenschaftlic-technischer Erkenntnisse für die technisch -technologische Umrüstung, für die Schaffung geschlossener Stoffkreisläufe sowie die Energie- und Rohstoffeinsparung;
2. Veränderung der Konsumtions- und Lebensweise der Menschen und entsprechende Aufklärung der Öffentlichkeit; Offenlegung der Umweltdaten;
3. Umfassende internationale Zusammenarbeit bei der Erhaltung, Gestaltung und dem Schutz der Umwelt, wobei der Energiewirtschaft besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird;
4. Prinzipielle Neugestaltung des ordnungspolitischen Rahmens (Umweltgesetzgebung, Umweltaufsicht, staatliche Förderung von Umweltforschung, Produktion umweltfeundlicher Anlagen und Konsumgüter etc.) und Durchsetzung eines umweltbewußten Verhaltens der Unternehmer und der Bevölkerung durch den Staat. Letzteres soll durch die Erhöhung der Wirksamkeit bzw. die Schaffung entsprechender Instrumente der Umweltpolitik gesichert werden. Zu ihnen gehören
-ordnungsrechtliche Instrumente (Auflagen, Ge- und Verbote)
-ökonomische Anreize (Abgaben, Zertifikate, Finanzierungshilfen, Subventionen) und
-sonstige Instrumente (Haftungsrecht, Information und Beratung, Umweltverträglichkeitsprüfung u.a.).
Vergleicht man die Programmvorstellungen der Parteien und Gruppierungen, so sind die Unterschiede in bezug auf die Wege geringfügig. Bemerkenswert, daß das auch für den vierten gilt. Keine Partei hat Illusionen hinsichtlich einer marktwirtschaftlichen Selbstgesundung der Umwelt und verlangt konsequent nach dem Staat. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang die Aussage des BRD-Wissenschaftsministers Prof. Heinz Riesenhuber auf einem Hearing am 27. Februar an der Hochschule für Ökonomie, daß Marktwirtschaft und Ökologie von Natur aus Widersprüche sind und nur vom Staat der nötige Gegendruck geschaffen werden kann.
Resümee:
Das Umweltproblem wird von allen Parteien und Gruppierungen erkannt, seine Lösung als entscheidendes Ziel formuliert. Wege zu seiner Lösung werden im Prinzip einheitlich gesehen. Also - könnte man schlußfolgern - sind keine Motive zu finden, die aus ökologischen Gründen für (oder gegen) die Wahl der einen oder anderen Partei bzw. Gruppierung in die Wagschale fallen.
Soweit man sich mit allgemeinen Positionsbestimmungen zufriedengibt, ist das richtig.
Mittel und Konsequenzen:
Ökologie kostet Geld. Viel Geld sogar und das über Jahre. Ein beträchtlicher Teil des Wirtschaftswachstums und damit auch des Verbrauchs der DDR-Bevölkerung ist in der Vergangenheit zulasten der Umwelt erreicht worden. Auf manchen Gebieten, beispielsweise was Bausubstanz und Landschaften betrifft, sind irreparable Schäden entstanden. Schätzungen besagen, daß jährlich Umweltschäden in einer Größenordnung von mindestens 28 bis 30 Milliarden Mark in der DDR entstanden sind. Nur ein Bruchteil davon wurde kompensiert. Seit 1980 sind durch den Staat insgesamt ca. 9,75 Mrd. Mark für den Umweltschutz ausgegeben worden. Lutz Wicke, wissenschaftlicher Direktor des Umweltbundesamtes spricht in 'Die Welt‘ vom 29. 12. 1989 von notwendigen Umweltaufwendungen in Höhe von 200 Mrd. in 20 Jahren für Osteuropa. Andere geben die gleiche Summe nur für die DDR an.
Wer wird das bezahlen? Spätestens seit dem Modrow-Besuch in Bonn weiß man, daß solche globalen Aufwendungen, die zunächst nicht adressierbar und für niemand profitabel sind, auf gar keinen Fall von den Brüdern und Schwestern in der Bundesrepublik auch nur anteilig übernommen werden.
Nun hoffen viele auf moderne, umweltfreundliche Technik, die mit dem Kapitalfluß aus Westeuropa ins Land kommt. Neue technische Lösungen sind vom ökonomischen und ökologischen Standpunkt aus mit Sicherheit der effektivste und schnell wirksamste Weg. Man rechnet grob, daß der nachträgliche Einbau von umweltschonenden Stufen in bestehende Anlagen etwa das doppelte im Vergleich zu den Umweltschutzaufwendungen für neue technologien kostet. Die Beseitigung von Schäden (z.B. für Rauchgasentschwefelung bzw. -entstickung) wird sogar mit dem zehnfachen Aufwand angesetzt.
Von den Parteien Mitte bis rechts wird im Rahmen ihres Gesamt-Wirtschaftskonzepts darauf gesetzt, daß im Verbund mit bundesdeutschem Kapital wirtschaftlicher Aufschwung und Modernisierung zu erreichen ist und damit auch ökologischen Fragen zu lösen sind. Der Demokratische Aufbruch beispielsweise geht davon aus, daß sich die ökonomischen und ökologischen Probleme der DDR nur in einem übergreifenden System wirtschaftlicher und ökologischer Kooperation in Europa und der Welt bewältigen läßt.5
Das ist wahrscheinlich realistisch, aber was ist der Preis? Die bundesdeutsche Konzeption zur Stärkung der Klein- und Mittelstandswirtschaft kann zwar zur Produktion umweltfreundlicher Technologien beitragen, aber die Hauptumweltverschmutzer in der Energiewirtschaft und Chemie sind so nicht oder höchstens punktuell zu entschärfen. Für diese gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder Ersatz der einheimischen Produktion durch Energie- und Rohstofflieferungen aus der Überschußproduktion der BRD, was von den mehr als 550 Tausend Beschäftigten der Energie-, Brennstoff- und chemischen Industrie Hunderttausende auf die Straße wirft. Die angekündigte Schließung besonders extremer Anlagen in Pirna und anderen Städten wird mit Entlassungen von mehr als 50 Tausend Beschäftigten bereits in der BRD -Presse kommentiert. Dabei ist nicht uninteressant, daß auch die zunächst umweltfreundliche Kernenergie durch Töpfer -Besuche attackiert wird und selbst dem wenig sachkundigen Betrachter deutlich wird, wessen Interessen hier im Vordergrund stehen.
Die andere Möglichkeit für die Lösung umweltbelastenden Hauptprozesse ist sozial nicht weniger problematisch. Wirklich technische Neuausrüstung dieser Betriebe mit Hilfe ausländischen Kapitals bedeutet aufgrund des großen Kapitalaufwands aus dem Ausland die de facto Aufgabe des Volkseigentums. 3/4 oder mehr Auslandskapital heißt Übernahme der Leitung der Unternehmen und das bedeutet zugleich zwangsläufig Massenentlassungen und Verlust der entscheidenden Grund lagen der Rechte der Werktätigen.
Auch wenn es gegenwärtig in diesem Land nicht gern gehört wird, dieses Konzept beeutet zugleich die schrittweise Einbindung der DDR-Bürger in das System der Ausbeutung der dritten Welt. Rohstoffbezüge und Profittransfer aus diesen Ländern ist ein international üblicher Weg zur Sanierung der eigenen Lebensumwelt.
Wen man es auf den Punkt bringt, bieten also die Mitte -rechts-Parteien kein annehmbares Umweltkonzept.
Von der SPD, die in ihrem Programm eine ausführliche und differenzierte Vorstellung vom ökologischen Umbau der Wirtschaft vorlegt, bleibt die Frage nach den Mitteln sowie den sozialen Konsequenzen, die sich aus ökologischen Maßnahmen jedoch unbeantwortet ergeben. So werden konkrete Vorschläge zur ökologischen Erneuerung unterbreitet, der damit verbundene Konflikt auf sozialem Sektor (Arbeitslosigkeit usw.) aber nicht ausgesprochen. für eine zu erwartende Regierungsverantwortung der SPD ist jedoch bemerkenswert, daß sie dem Stat hohe Verantwortung in bezug auf Ökologie und Soziales zuspricht. Die SPD geht davon aus, daß von der kapitalistischen Wettbewerbswirtschaft „die sozialen und ökologischen Bedürfnisse der Gesellschaft... nur insoweit und damit unzulänglich berücksichtigt (werden), als sie Gewinn versprechen. In der sozialen Marktwirtschaft setzt der Staat durch planendes, koordinierendes und regulierendes Handeln einen dem Gemeinwohl verpflichteten Rahmen, innerhalb dessen sich der Wettbewerb selbstständig agierender Betriebe effizient entfalten kann.„6. Wenn die SPD diesem Prinzip Folge leistet, wären von ihr tätige Lösungen für soziale und ökologische Sicherheit zu erwarten.
Von der PDS, die das Ökologieproblem nicht gesondert, sondern als alle gesellschaftlichen Fragen tangierendes Thema behandelt, werden keine Versprechungen gegeben. Die Marktwirtschaft als notwendige Alternative zur Naturalwirtschaft akzeptierend, werden die Bedingungen genannt, die für „sozial und ökologisch“ notwendig sind: Dominanz des gesellschaftlichen Eigentums, internationale Arbeitsteilung, Demokratie, Leistungsentwicklung, Recht auf Arbeit.
Bei der Lösung des Umweltproblems wird auf zwei Hauptlininien orientiert: erstens - Unterordnung der Wertvorstellungen, Bedürfnisstrukturen und Lebensstile unter das Ziel, unsere Erde den nachfolgenden Generationen als einen bewohnbaren Planeten zu hinterlassen und zweitens Strukturwandel im Zusammenhang mit aktiver Teilnahme an internationaler Arbeitsteilung zugunsten neuer Technologien und einem ökologisch verantwortungsbewußten Wirtschaftswachstum bei sinkender Umweltbelastung und ressourchenschonendem Produktionsverbrauch.7 Dabei soll das ökologisch Schädliche durch Reform des Preis- und Steuersystems teuer und das ökologisch Nützliche vorteilhaft gemacht werden.
Resümee:
Es gibt in der Parteienlandschaft kein Patentrezept für die Lösung der ökologischen Probleme. Das liegt nicht in der Unfähigkeit der Parteien, sondern in den realen Widersprüchen der DDR-Realität.
Es ist sicher eine Frage des persönlichen Standpunktes, für welche Partei sich der Wähler entscheidet. Die ökologische und soziale Vernunft aber weist nach links.
1 Programm der Deutschen Bauernpartei Deutschlands, Seite
2 Wir stellen uns vor, Freie Erde 23. 12. 89
3 ebenda
4 Extrablatt, Herausgegeben vom Vorstand der SPD, Januar 1990
5 Programm des Demokratischen Aufbruchs- sozial, ökologisch Seite 8
6 Extrablatt...
7 Neues Deutschland, 27. 2. 1990
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