: Last-minute-Kultur
■ Letzte Nachrichten aus dem Kultur-Regionalausschuß „von oben“ / „Gute Nachricht? / DDR-Bürger zahlen nun ein viertel des DM-Preises für Westberliner Kulturveranstaltungen / Kulturscheck-Idee ist lange vom Tisch /Zynismus von Senatsseite
Laurentia Bienenwachs
Wenn ich in letzter Minute zum Stones-Konzert ins Olympia -Stadion möchte, brauche ich DDR-Bürgerin nur noch 1/4 von 90 DM bezahlen. Nur muß ich auf den Tag warten, wo es noch Karten gibt vor Veranstaltungsbeginn und vermutlich auch auf den Tag, wo das Olympia-Stadion von der Kultursenatorin Frau Martiny zur Kunststätte erklärt wird.
Als „Gute Nachricht für alle am Westberliner Kulturleben interessierten DDR-Bürger“ offerierte die Berliner Zeitung am 6. 3. dieses von Allgemeinplätzen reichlich umspülte Faktum. „Kunst und Kultur, so stellt die Senatorin nunmehr klar, hätten für einen störungsfreien Prozeß der Verständigung, Annäherung und Einigung einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert“ (auch für BZ-Leser). Kulturminister Dietmar Keller klärt uns einen Tag später auf. Wir dürfen „enttäuscht“ sein und wissen, daß auch diese Regelung „weiter unbefriedigend“ ist (siehe nebenstehende Pressemeldung - d. Red.).
Wer lange würgt, würgt gut. Vor der Jahreswende, als die Umarmungsgebärden gegenüber den DDR-Bürgern noch Geschenkcharakter trugen, gab es noch keine Fachgruppe Kultur des gebildeten Provisorischen Regionalausschusses beider Regierungen. Dafür existierte die vorweihnachtliche Idee, geäußert von Frau Martiny, gerichtet an Herrn Keller, einen Kulturscheck für DDR-Bürger einzurichten, der den Besuch in Westberliner Kultureinrichtungen im Verhältnis 1:1 ermöglicht. Ein Fonds von 50 Millionen DM sollte für ein Jahr in Aussicht gestellt werden, um den Westberliner Häusern den Ausgleich zu zahlen. Die von den DDR-Bürgern gekauften kulturellen Verzehrbons für dann 50 Millionen Mark der DDR sollten in Stiftungsform wiedererscheinen und unter Einschluß der Öffentlichkeit künstlerischen Projekten in der DDR zur Verfügung gestellt werden.
Die Zeit der globalen Regelungen ist lange vorüber. Die Administratoren sind schubkästenweise in Fachgruppen des Provisorischen Regionalausschusses untergebracht und debattieren nun einzeln über die Stadtentwicklung - den wissenschaftlichen, kulturellen, touristischen Verkehr, Umwelt, Volksbildung und Wissenschaft, öffentliche Sicherheit, Gesundheit und Soziales, Sport und die Frauen in Ost und West.
Der Regelungsbedarf in einer zusammenwachsenden Metropole ist sicher so immens, daß die insgesamt 15 Arbeitsgruppen über die regional spürbaren Probleme eines deutschen Einigungsprozesses sich endlos austauschen könnten. Die sozialen Probleme und verursachten Konflikte verschiedener Pendlergruppen zwischen Ost und West, Gestaltungsspielräume für Umweltlösungen, Wirtschaftsfragen und auch der kulturelle Annäherungsprozeß sollten die Bürger und ihre bürokratischen Enklaven eigentlich mehr beschäftigen als die Verkrampfung, zwei ohne Umfeld unvergleichliche Währungen ständig im luftleeren Raum angleichen zu wollen.
Die Kulturscheckidee ist schon lange vom Tisch. Der Kultur -Regionalausschuß „von oben“ verhandelt vom Westen her nur noch auf der Ebene von Preisminderungen. Die Ostseite wollte nicht nur Nachhilfeunterricht in Sachen Wertgesetz. Ihr Interesse, in die Diskussion die Wahrung und Entwicklung der Selbstwertgefühle, der kulturellen Selbstbestimmungsrechte der ihr bekannten Region einbringen zu wollen, vurde vom Zynismus der VertreterInnen von der anderen Seite schwer getroffen.
Wenn Senatshirne verhandlungsvorbereitend rauchen, lesen sich Eigeninterpretationen der Last-Minute-Regelungen (leider nur als Senatsinterna zu haben) folgendermaßen. „Der Anteil von 24 % des regulären Kartenpreises, zu entrichten in DM, verlangt von Besucherinnen und Besuchern aus dem anderen Währungsgebiet bereits eine bewußte Hinwendung zur Kulturveranstaltung - und der damit verbundenen Geldausgabe
-, wobei diese angesichts des bestehenden Währungsgefälles trotz der erheblichen Reduzierung - mit den sehr viel höheren Eintrittspreisen der Kulturveranstaltungen in West -Berlin zugleich vertraut gemacht werden.“
Nur Martini mit Blausäure ist ätzender. Wenn die östliche Versorgungsmentalität von westlicher Seite auch belächelt wird, so sollte sie doch wenigstens als Teil einer DDR -Identität verstanden werden, die es wert ist, auf partnerschaftlicher Grundlage kritisiert oder neu diskutiert zu werden.
Wenn schon die Subventionen der DDR-Hochkultur genüßlich genutzt und zugleich attackiert werden, was geschieht dann erst bei den Jugendzentren, den Tanzveranstaltungen, den vielfältigen Problemen eines kulturellen Alltags verschiedener sozialer Gruppen?
„Alle Macht den Bürokraten“ ruft allwöchentlich meine Lieblingsgrafiker Golo Hawlitzki, Chef des persönlichen Kunstamtes „Ohne Gnade“. Sie brauchen nicht zu grübeln, er ist so unbekannt wie bedeutend. Er wird von niemandem finanziert. Unbeschwert seufzt er seine Liebesschwüre für alle Administratoren, die er noch nie in seinem Leben sah. Aus seiner glücklichen Verbindung mit den kurvenfähigen Zeichenstiften schöpft er die agressionsfreie, himmlische Liebe zu allen Geschöpfen dieser Welt, auch zu den Bürokraten. Ihm fehlt jegliche Selbsterfahrung auf Verwaltungsebene, sein Vertrauen in die Ämter ist ebenso unerschüttert wie seine DDR-Identität. Er liebt das Leben, und das besteht nicht nur aus billiger gewordenen Eintrittskarten.
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