Stasi wollte die Kirchen ködern

■ Vertraulichen Politbüro-Vorlage Mielkes vom Oktober 1989 über die Oppositionsgruppen und die Einbindung der Kirchen in die Beschwichtungs-Interessen der Staatssicherheit

„Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen setzt sich der Prozeß der DDR-weiten Propagierung und Formierung oppositioneller Sammlungsbewegungen weiter fort“, schrieb das Ministerium für Staatssicherheit in einem Papier - Geheime Verschlußsache -, das der ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen, Egon Krenz, am 17.10.89 „den Mitgliedern und Kandidaten des PB zur Aussprache auf der nächsten Sitzung“ zukommen lies. In dem 13seitigen Papier, unterzeichnet von Mielke, stand vieles, das aufgeweckten Zeitgenossen nichts Neues sein konnte. Streng geheim allerdings war, wie unverfroren die Staatssicherheit hier die Innenpolitik der DDR lenkte und mit welch detaillierter Stragegie die Kirchen ins Kalkül der der Regierung einbezogen wurde.

Der Stasi-Bericht beginnt mit den Fakten: „Am 14. Oktober 1989 trafen sich in der Elisabeth-Kirchengemeinde Berlin trotz eingeleiteter vielfältiger Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung des geplanten Treffens insgesamt 98 Erstunterzeichner des sogenannten Gründungsaufrufes des 'NEUEN FORUMS‘ sowie als „Kontaktadressen“ fungierende Personen aus der Hauptsstadt der DDR und mehreren Bezirken, um den bisher erreichten Entwicklungsstand einzuschätzen und Vorstellungen zum weiteren Ausbau der Strukturen des 'NEUEN FORUMS‘ zu erörtern...“ So umständlich und ins Einzelne gehend berichtet die Staatssicherheit dem Politbüro seitenlang über das Treffen des Neuen Forum und das Programm. Die Spitzel hatten auch Zugang zu „streng internen Hinweisen“ aus dem Führungszirkel, das Neue Forum strebe weiter an, „einen legalen Status zu erreichen“: „Durch die weitere Erhöhung der Mitgliederzahlen und die Schaffung funktionsfähiger Organisationsstrukturen soll der Staat vor vollendete Tatsachen gestellt werden.“

Die Politbüro-Mitglieder bekommen auch Informationen über das Verhältnis von Forum und Kirchen: „Auch bisher noch nicht ins Blickfeld geratene Personen aus dem kirchlichen Bereich“, hat die Stasi festgestellt, „haben sich an die Spitze der oppositionellen Bewegungen gestellt, zählen zu deren Organisatoren und Mitbegründern.“

Die Staatssicherheit hatte auch die Gründung des „Demokratischen Aufbruch“ beobachtet, 900 Personen seien in der Erfurter Augustinerkirche beteiligt gewesen. Bei dem Pfarrer Etelbert Richter haben die Schnüffler damals schon „Übereinstimmung mit dem 'deutschlandpolitischen‘ Konzept der CDU/CSU in der BRD“ festgestellt. Und als in der Privatwohnung eines Greifswalder Studentenpfarrers „ca. 45 Personen, überwiegend Studenten und Jugendlichen“ trafen, waren die Stasi-Informanten wieder dabei. Da der Kreis sehr klein war, wird die Stasi-Erkenntnis, die SDP beginne hier mit dem Aufbau einer regionalen Organisation, als „streng intern“ eingestuft.

Die Staatssicherheit weiß um die Doppelrolle der Kirche beim Entstehen der Oppositionsgruppen und versucht sie sich zunutze zu machen. „Auf realistischen Positionen stehende kirchliche Kräfte treten kaum in Erscheinung“, steht in der vertraulichen Politbüro-Vorlage Mielkes, ihre Bemühungen „bleiben in der Regel ohne Wirkung“. Namentlich genannt werden die Bischöfe Leich, Hempel und Demke. Die „Forderungen nach Disziplinierung solcher im kirchlichen Bereich tätigen Personen, die aktiv gegen die sozialistische Staatsmacht auftreten und tätig werden“, seien aber fruchtlos gewesen. „Sie wurden seitens der kirchlichn Gesprächspartner vielfach mit vagen Versprechungen und Rechtfertigungen abgetan oder bagatellisiert“, schreibt die Stasi.

In dem Maßnahmen-Katalog, den Mielke, Dickel u.a.am 21.10.89 dem Politbüro vorlegten, spielte denn auch das Verhältnis zur Kirche eine Rolle. „Den Kirchen und Glaubensgemeinschaften werden in den bewährten und neuen Formen der Zusammenarbeit von Staat und Kirche größere Möglichkeiten eingeräumt, gesellschaftliche Belange ihrer Gläubigen einzubringen und zu vertreten. Das schließt die aktive Mitarbeit als berufene Bürger in den Ständigen Ausschüssen und Kommissionen der Volksvertretungen, den Wahlkreisaktiven, den Ausschüssen der Nationalen Front der DDR und anderen gesellschaftlichen Gremien ein. Damit wird die Profilierung der Kirchen der DDR zur 'Kirche im Sozialismus‘ unterstützt. Ihrem Mißbrauch für politische Veranstaltungen wird entgegengewirkt.“ Und da Beschlüsse auch umgesetzt werden müssen, ist zu diesem Maßnahmen -Vorschlag auch gleich mitvermerkt, wer für die Kirchen „verantwortlich“ zeichnen soll: „Genosse Willi Stoph, Genosse Kurt Löffler, 1. Sekretäre der Bezirks- und Kreisleitungen, Arbeitsgruppe Kirchenfragen des ZK.“ Den Vorgenannten verblieb allerdings nicht die für die Umsetzung der Maßnahmen erforderliche Amtszeit.

K.W.