: Dessauer Wahlkampf im „Gartenreich“
■ Aus Dessau Andreas Butter
Weltoffen, wirtschaftlich potent und ästhetisch durchgestaltet war es schon, das Musterländle des Wörlitz Fürsten Franz von Anhalt-Dessau. Damals, um 1800. Einen weiteren Schub in diese Richtung erhielt seine Residenzstadt an Elbe und Mulde in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts, als hier die Bauhaus-Puppen tanzten und Professor Junkers, die zu jener Zeit modernsten, fliegenden Kisten zimmern ließ. Gerade letzte Woche hatte es auf dem Flugplatz nach 50 Jahren ein tränennasses Wiedersehen tausender Dessauer mit der alten „Tante Ju“ gegeben.
Wen wundert's'daß sich die Liberalen in dem qualmenden und zubetonierten Provinznest von heute auf diese Traditionen berufen. Und das historisch mit einem gewissen Recht. Jung F.D.P.ler meinten nach einem Großauftritt des Grafen am Freitag, daß man am Ort mit mindestens 20 Prozent rechnen könne und bereits eine genaue logische Vorbereitung des Handstreichs auf das Gesundheits- und Bildungswesens vorliegt. Immerhin sind die liberalen Programmatiken in dieser Hinsicht ziemlich konkret (übrigens waren sie die Einzigen, die auch Wahlmaterialverkauften), und ihre Leader außerordentlich populär. Nur wenige Einwohner der Stadt haben Dr. Mentzels Steteskop noch nicht auf der Brust gespürt.
Aber die Anschuldigung, es früher mit dem SED -Teufel getrieben zu haben, bzw. insgeheim zu seinen Heerscharen zu gehören, bildete auch den Hauptgegenstand des Grabenkampfes zwischen von CDU und SPD. Ausgetragen wurde er mit Lautsprechermonologen („Warum fand Schalck-Golodkowski Aufname in der BRD? Weil Helmut Kohl Bundeskanzler ist. Ein Grund mehr , SPD zu wählen.“) und Gegenflugblättern zu Gegenflugblättern („Die sozialistischen Kumpane SPD-West, SPD-Ost, SED-PDS“). Etwas Frische brachten da nur die Jusos mit einer Hitliste, auf der sich jeder das von ihm am drängensten empfundene Umweltproblem aussuchen durfte. Neben den Favoriten Mulde, Gärungschemie und der Müllkippe „Scherbelberg“ gab es beachtliche 10 Stimmen für die „PDS -Schmierereien im Stadtzentrum“.
Daß neben dem Bündnis 90 und den Grünen auch die PDS in dieser fröhlichen Runde fehlte, war eigentlich schade. Ein paar Tage zuvor war Gysi jedoch dagewesen und hatte vor vollbesetztem Haus seinen Charme spielen lassen. Ein 52 -jähriger Lehrmeister dazu: „Nur gerechtfertigt für de alte Partei hatter sich, und versprochen wo keene Grundlage da is. Lacher hatter jekriegt.“
Schon Anfang November hatte sich der Ruf: „Macht euch weg!“ aus 60 000 frustrierten Kehlen und dem „Urgrund der anhaltischen Volksseele“ erhoben und die Wände der Kreissäle zum Wackeln gebracht. Und die Oberbürgermeisterin, Dessau hatte über Jahrzehnte ein Alibi in punkto weiblicher Machtbeteiligung zu liefern, entging damals nur durch das Dazwischentreten des Kreisoberpfarrers dem direktem Zugriff einiger äußerst tatendurstiger Demonstranten. Inzwischen ist sie nicht mehr OB, aus der SED aus-, in die PDS eingetreten und Volkskammerkandidatin. Die Gemüter schlagen wirklich hoch, bei diesen ansonsten gutmütig muffelnden Mitteldeutschen. Der Ortsteil Mildensee hat sich bereits selbständig gemacht und einen eigenen Bürgermeister gewählt. Heftige Diskussionen wogen in der Lokalpresse um ein stalinistisches Wandbild das dem Fremden beim Betreten der Bahnhofshalle klarmacht, wie man hier fröhlich in die Zukunft zu marschieren hat. Gar mancher steht da schon Spitzhacke bei Fuß.
Die katastrophalen Zustände von Nahverkehr , Versorgung, Instandhaltung und des Kommunikationsnetzes werden häufig mit dem Status der Stadt in Verbindung gebracht.
„Dessau muß wieder Landeshauptstadt von Anhalt werden!“ lautet ein Slogan, derimmer häufiger in den Schaufenstern auftaucht. Viele fürchten, auch künftig wieder von der gutgehassten alten Bezirksstadt Halle abgedrängelt zu werden. Gerade rechtzeitig erschien Prinz Eduard in Dessau, um seinen Landeskindern beizustehen. In der nächsten Ausgabe von „III nach 9“ will er nun für die Auferstehung von rot -grün weiß werben. Um eine kleine Wohnung vom Schloß Georgium hat er schon gebeten, mit dem bissigen Zusatz, als Sicherheit der dortigen Gemäldegalerie sei dies sicherlich nicht schlecht...
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