Wahlsonntag mit selber kümmern in Rostock

■ Alles per Zuruf ist nicht mehr /Demokratische Wahlurnen aus der Partnerstadt Bremen für Rostocker Wahllokale /Die Bürger müssen sich jetzt selber kümmern /Sonnenschein lockt die Frühaufsteher zum ersten freien Urnengang

Dem jungen Mann, der da jetzt in der Tür der Wahlkommission im Rostocker Rathaus steht, war es erst in seinem Wahllokal aufgefallen: Er stand nicht im Wählerverzeichnis: „Ich will aber nicht irgendwann wählen. Heut ist die erste freie Wahl, ich will heute wählen.“ Die Frau aus der Wahlkommission, löst das Rätsel.

Der Mann hat, wie viele andere, die an diesem Morgen auf ihr Wahlrecht pochen, in „Rostock nur seinen Nebenwohnsitz. „Die Bürger müssen sich jetzt selber kümmern“, sagt Kollege Kidschun sorgenvoll, „es ist nicht mehr wie früher, wo man keine schriftliche Benachrichtigung brauchte. Da ging alles per Zuruf, und die Leute holten einen schon aus dem Haus zur Wahl. Jetzt geht alles korrekt.“ Auch der 18jährige Wahlhelfer aus dem Wahllokal 304 hat sich gemeldet, weil es die erste freie Wahl ist. „Das muß man einmal mitgemacht haben“, sagt er, als er ins Auto steigt, um einer Krankenschwester, die kurzfristig zum Dienst ins Krankenhaus mußte, die Wahl zu ermöglichen.

Die Urne, die er im Arm hält, ist noch eine von den alten: hinten drauf, das nicht ganz abgerissene DDR-Emblem, oben der enge Schlitz für die alten Wahlscheine, die noch kleiner waren, weil ja bloß die NF draufpassen mußte. In den 190 Rostocker Wahllokalen stehen Metallurnen aus Bremen. Die Partnerstadt hat sie geliefert, genau wie die Wahlkabinen, weil man so schon schnell demokratisch keine passenden produzieren konnte.

„Die Leute in der sonnenbeschienen Stadt sind reineweg wild auf Wählen. In der Clara-Zetkin-Schule stehen um 11 Uhr 20 Leute Schlange, für die Zettel, auf denen sich im Mecklenburg auch die Partei der „Biertrinker“ findet. Im Wahllokal in der Post haben um neun Uhr morgens von 720 Wahlberechtigten schon 120 ihre Stimme abgegeben. „Das liegt am schönen Wetter, da wollen viele noch in den Garten,“ sagt Kurt Ahlhelm, der die Leute an der Tüpr freundlich begrüßt, „damit sie merken, daß schon was anders geworden ist.“

Und noch etwas ist anders. Die drei Wahlkabinen stehen so zwischen den Stimmzettelaushändigern und den WahllistenführerInnen, das man hindurch muß. Trotzdem trudelt eine Frau nach ganz hinten abseits. Dort standen nämlich früher, als hier noch die SED Wahl inszenierte, die Wahlkabinen. Erreichbar per Spießrutenlauf. Um 12 Uhr haben im Wahllokal 304 60 Prozent ihre Stimme abgegeben. Wenn das so weitergeht, dann waren bis 17.00 Uhr alle 720 da.

„Und wen haben sie gewählt?“ die meisten antworten freimütig. Die beiden jungen Frauen auf dem Universitätsplatz, auf dem am Vorabend W. Brandt bejubelt wurde, wollen beide, daß es gründlich anders wird im Land. Deshalb wählt die eine SPD und auch weil sie Willy Brandt „verehrt“. Die andere wählt Allianz. Und die Spitzeldienste des Vorsitzenden des DA aus Rostock, Wolfgang Schnur? Haben die nicht ihr Vertrauen erschüttert? „Da wir ja schon eine ganze Weile in diesem Land leben, haben wir ja genug Erfahrungen mit der STASI und wissen, wie leicht man Akten fälschen kann“, sagt sie.

Der Meister am Bau sieht das anders. Er hätte vorher „Helmut Kohl gewählt“, aber das mit dem Schnur, das war ihm denn einfach „zu viel gebarschelt“. Nur der Angestellte von der Schiffsmaklerei, den ich schräg gegenüber vom alten Stasi-Gebäude in der August-Bebel-Straße treffe, wird gleich das „Neue Forum“ wählen. „Ohne die wäre ja das alles nicht so gegangen seit dem Herbst. Das sind wir denen schon schuldig.“

Uta Stolle