: Kultur, Kommerz oder Krisenberatung?
■ Die Jugendklubs kämpfen um's Überleben und gegen die Spekulanten vor der Tür
Über 9.500 Jugendklubs gab es noch vor einem Jahr. Allein in den letzten beiden Monaten wurden mindestens 168 Einrichtungen geschlossen. In den Bezirken Erfurt und Karl -Marx-Stadt geht der Ausverkauf am schnellsten voran Bezirke, in denen die Allianz über 60% der Stimmen erhielt. Zuerst geht es den betrieblichen Jugendklubs an den Kragen. Denn Jugendarbeit ist unrentabel, und welcher Betrieb kann sich das in Zukunft noch leisten? Doch auch die Kommunen verkaufen an Privatpersonen, die Häuser werden zu Gaststätten, teuren Diskotheken oder billigen Vergnügungsstätten umfunktioniert.
Viele der größeren Jugendklubs bauen nun ihr Veranstaltungsprogramm aus, um sich aus den Einnahmen selbst zu finanzieren; die kleineren Häuser entwickeln pädagogische Konzepte. Für die zukünftigen Sozialarbeiter soll ab September ein Studiengang an den Universitäten eingerichtet werden.
Angesichts der neuen Jugendprobleme wie Drogen, Arbeitslosigkeit und Neofaschismus wird auch die neue Regierung in die Jugendarbeit investieren müssen. Sie muß vor allem schnell handeln, um die anhaltende Abwanderung von jungen Leuten zu stoppen.
Im rotlackierten Treppenhaus des Berliner Knaack-Clubsstehen die Jugendlichen Schlange. Für nur neun Mark gibt's an diesem Abend gleich vier Bands aus West-Deutschland.
So günstig werden die Konzerte vielleicht bald nicht mehr sein, denn der Knaack-Club will sich selbständig machen und das Geld für Gruppen und Gehälter selbst erwirtschaften. Keine „Staatsknete“ mehr, das bedeutet für Thorsten, noch amtierender Leiter des Jugendklubs, auch „weg von der sozialen Orientierung“. Disco und „schräge Live-Musik“ sei gefragt bei den Jugendlichen im Prenzlauer Berg. Soziale Jugendarbeit, für die es zweifellos einen großen Bedarf gebe, könne besser in den kleineren Einrichtungen geleistet werden.
In Zukunft also Konsum und Massenbetrieb statt Kreativität und Kleinkunst? Knaack-Mitarbeiter Ralf schwächt ab: „Ein bißchen verdeckte Sozialarbeit findet immer statt, und außerdem bleibt der Knaack-Club den Jugendlichen im Kiez als Treffpunkt erhalten.“ Und die westlichen Spielhöllenbesitzer, die schon angeklopft haben, können zumindest in der Greifswalder Straße 224 keine Filiale errichten.
Um „so 'ne Art autonomes Jugendzentrum“ zu werden (Thorsten: „Wir machen keinen Hehl daraus, daß wir noch eine linke Ecke sind“) gehen die Knaacker zunächst den klassisch kapitalistischen Weg. Thorsten wartet auf seine Gewerbegenehmigung, um den Knaack-Club als Privatunternehmer zu führen - natürlich nur auf dem Papier, die MitarbeiterInnen wollen weiterhin gleichberechtigt zusammenarbeiten.
Die Stadträtin für Kultur unterstützt die Pläne. Mit einem Nutzungsvertrag soll abgesichert werden, daß der Knaack-Club ein Jugendzentrum bleibt. Wenn weiterhin Amateurgruppen gefördert werden und sich der Knaack-Club an einem Kiez -Projekt beteiligt, gibt es vielleicht doch noch ein paar Mark Staatsknete.
Ganz andere Pläne hat Jörg Richard vom Kinder- und Jugendzentrum in Lichtenberg.
„Der Rat schließt, was sich nicht lohnt, er muß also davon überzeugt werden, daß sich die freizeit- und sozialpädagogische Arbeit in den Jugendklubs auf Dauer auszahlen wird.“
Im Wohngebiet sind die Folgen einer nachlässigen Jugendarbeit bereits zu spüren. Etwa 20 jugendliche Neonazis („die sich untereinander auch nicht ganz grün sind“) versuchen, Stimmung gegen „Schmuddel-Punks, Sachsen und Ausländer“ zu machen, wofür sie an den Wochenenden
Verstärkung aus anderen Stadtteilen erhalten.
Den neofaschistischen Tendenzen will das Kinder- und Jugendzen
trum attraktive Angebote zur Freizeitgestaltung entgegenstellen und vor allem den jüngeren Kids, die sich von zu Hause abnabeln, eine Alternative zur Straße anbieten. Am 2. April, wenn das Zentrum wiedereröffnet, finden sie hier eine Teestube, Holzwerkstatt und Fotolabor, Theatersaal und Schminkraum und ein offenes Ohr bei einem der vier Mitarbeiter.
Neben den Angeboten im Freizeitbereich entwickelt sich die sozialpädagogische Arbeit. Die „Initiativgruppe Jugend und Drogen“ hat hier ihren Sitz, jeden Dienstag bietet eine Fachärztin eine anonyme Drogenberatung an. Bedarf dafür wird es geben: bei einer Befragung des Leipziger Zentralinstitutes für Jugendforschung haben 30% der Schüler angegeben, daß sie Drogen zumindest „mal probieren“ wollten.
In einer Selbsthilfegruppe treffen sich seit einigen Wochen die Eltern alkoholgefährdeter Jugendlicher. Hier sollen praktische Ratschläge für die Elternarbeit ausgetauscht werden, um die Lähmung und Hilflosigkeit zu überwinden, die sich angesichts des Drogenproblems breitmacht.
Ein großes Problem für die künftige Jugendklubarbeit sieht Jörg Richard in der mangelnden Qualifikation der Mitarbeiter. Nur etwa 10% der Jugendklubleiter haben eine fachnahe Ausbildung, Idealismus und Improvisation seien bisher die wichtigsten Arbeitsgrundlagen gewesen. Es gibt so gut wie keine Ausbildungsmöglichkeiten, in der einzigen Fachschule für Jugendklubleiter waren pädagogische und psychologische Inhalte bisher nebensächlich. Erste Konzepte für ein Sozialarbeiterstudium werden jetzt entwickelt, ab September soll das Studium möglich sein. Bis dahin werden die Bezirkskulturakademien Weiterbildungsveranstaltungen anbieten und die Jugendklubleiter in ihrer Arbeit unterstützen. Auch Informationsveranstaltungen in West -Berlin, die unter anderem von der Fortbildungsstätte des Senats angeboten werden, stoßen auf großes Interesse.
Bevor im „Atelier 89“ im Bezirk Prenzlauer Berg die pädagogische Arbeit beginnen kann, muß erst der Bauschutt beseitigt werden: dem Jugendklub fiel im letzten Sommer buchstäblich die Decke auf den Kopf. Er ist nicht der einzige, der wegen baulicher Mängel schließen mußte. 80% der Berliner Jugendklubs sind im Zuge des komplexen Wohnungsbaus entstanden, der jetzt die üblichen Verschleißerscheinungen zeigt.
Während der bauliche Einsturz für Jörg Klemkow, Leiter des „Atelier 89“, vorhersehbar war, bereitet ihm der inhaltliche Zusammenbruch der Jugendarbeit weitaus mehr Probleme.
„Wir haben kein soziales Netz im Prenzlauer Berg, sondern ein so
ziales Loch“, beschreibt er den Zustand des Stadtbezirks. Um sich auf die Erfordernisse der Jugendarbeit „nach dieser merkwürdigen Wende“ einzustellen, informierte er sich - wie viele seiner Kollegen -im Partnerbezirk in West-Berlin über die dortige Jugendfreizeitarbeit. Der erste Eindruck beim Besuch einer Kreuzberger Vorzeigeeinrichtung: die technische Ausstattung des Jugendzentrums sei enorm, die Jugendlichen können sich die Zeit mit Computern und Videogeräten vertreiben oder in der Autowerkstatt basteln.
Etwas wesentliches habe er allerdings vermißt: die Jugendlichen, die das üppige Angebot nicht sehr zahlreich zu nutzen schienen. Im Rückblick auf die Jugendarbeit im Prenzlauer Berg habe dort die Knappheit der Mittel zumindest die Phantasie von Mitarbeitern und Jugendlichen angeregt.
Das Kreiskulturhaus in Karlshorst, in dem auch ein Jugendklub untergebracht ist, bietet gute Voraussetzungen vor allem dafür, so schnell wie möglich von Spekulanten aufgekauft zu werden: direkter S-Bahn-Anschluß in die Innenstadt, eine Gaststätte mit gemütlichem Sommergarten, die Pferderennbahn um die Ecke und keine vergleichbaren Einrichtungen im Viertel.
Auch für die Jugendlichen gibt es keine vergleichbaren Angebote in Karlshorst - der „Ein-Raum-Klub“ im Kreiskulturhaus ist der einzige Jugendklub. Im Haus hat auch das Zentrum für Jugendklubarbeit seinen Sitz, dessen Leiterin Renate Günzel dem Rat des Stadtbezirks ein Konzept für ein kommunales Kultur- und Sozialzentrum vorgelegt hat. Eile tut not, denn die Gerüchte zum Verkauf des Gebäudes verdichten sich: in West-Berlin soll sich eine GmbH gegründet haben, die mit der HO-Gaststätte im Haus bereits einen Vorvertrag abgeschlossen haben soll. Der Rat weiß von nichts und will bis zu den Kommunalwahlen am liebsten überhaupt nichts mehr tun, womit das Ende der Jugendarbeit in Karlshorst erst einmal besiegelt wäre.
Während die meisten Jugendklubs für ihre alten Räume kämpfen, wird sich die „Spitze“ in Weißensee sogar vergrößern: in der Prenzlauer Promenade 3 gibt es bald ein Cafe mit dem einprägsamen Namen „Geierwally's Stieftocher im Ausland“. Der Rat des Stadtbezirks hat zugestimmt, mit der Auflage, daß sich das Cafe selbst finanzieren wird.
Der eigentliche Jugendklub trägt ab Mai den Namen „Brotfabrik“, angelehnt an die ursprüngliche Funktion des Hauses. Verschiedene Projekte können dann die Räume benutzen, die jetzige Klubleitung wird die Verwaltung des
neuen Jugend- und Kulturzentrums übernehmen. Die Zirkelarbeit soll in den Projekten weiterlaufen, ein Theaterpädagoge wird eine Gruppe für Kinder- und Jugendtheater leiten.
Das
Beispiel der „Spitze“ zeigt, daß sich auch in der Zeit des großen Ausverkaufs noch etwas für die Jugendlichen bewegen kann. Auch für die ehemaligen Verkaufsräume der alten Brotfabrik, in die jetzt das Cafe einzieht, gab es zahlreiche private Interessenten.
Noch bestimmen die örtlichen Räte darüber, was aus den kommunalen Einrichtungen wird.
Sabine Stoinski, die im Amt für Jugend und Sport für die Jugendfreizeitarbeit zuständig ist, betont die Aufgabe der Kommunen, ein Netz von Jugendfreizeiteinrichtungen aufzubauen. Gerade in den Städten könnten die größeren Häuser mit ihrem Veranstaltungsprogramm die pädagogische Arbeit der kleineren Einrichtungen mittragen.
Schwieriger ist die Situation auf dem Land, wo oft ein einziger Jugendklub von der Disco bis zur Krisenberatung alles abdecken muß.
Doch auch dort können die Kommunen im Bereich der Jugendfreizeitarbeit Tatsachen schaffen, mit denen sich die neuen politischen Kräfte auseinandersetzen werden.
Aber sie müssen sich beeilen:
Gerade bei den 15- bis 24- Jährigen sind die Abwanderungswünsche besonders ausgeprägt. Etwa 12 % dieser Altersgruppe, das sind 300.000 junge Leute, denken ans Weggehen.
Wenn noch länger gewartet wird, erledigt sich die Frage nach dem Erhalt der Jugendklubs vielleicht von selbst: keine Jugend - keine Jugendklubs - Problem gelöst.
Claudia Haas
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