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Paragraphen contra Überleben im Knast

■ Justizverwaltung läßt Einsatz von Plastikspritzen für Junkies in den Knästen nun doch prüfen / Arbeitsgruppe soll zwischen Paragraphen und Humanität abwägen

Einfache Plastikspritzen könnten helfen, die erschreckende Aids-Bilanz in Berlins Knästen zu bremsen. Doch Juristen und ihre Paragraphen verhindern dies nach wie vor. Die Senatsverwaltung für Justiz hat jetzt eine Arbeitsgruppe gegründet, die prüfen soll, ob in den Haftanstalten sterile Einwegspritzen an drogenabhängige Gefangene nicht doch verteilt werden können. Die Aids-Hilfe tritt schon lange für die Vergabe von sterilen Spritzen ein, weil das „needle -sharing“ die Hauptquelle für die HIV-Infektion ist. Die Aids-Hilfe geht davon aus, daß die Infektionsgefahr durch die Vergabe von sterilen Einwegspritzen stark eingedämmt werden kann, weil sich dort bis zu 15 drogenabhängige Gefangene eine alte, vergammelte „Pumpe“ teilen.

Bislang gibt es keinen Knast in der BRD, in dem Spritzen verteilt werden. Begründet wird dies meist damit, daß eine Vergabe von Spritzen nach §29 des Betäubungsmittelgesetzes (BTMG) strafbar sei, weil damit eine Gelegenheit zum unbefugten Verbrauch von Betäubungsmitteln geschaffen werde. Eine Verteilung der Spritzen könne nur durch eine Gesetzesänderung ermöglicht werden, wird argumentiert. Auch der rot-grüne Senat traute sich bislang nicht, den Vorreiter zu spielen, obwohl es in keinem bundesdeutschen Knast soviele HIV-infizierte Insassen gibt wie in den Knästen Berlins. Nach Angaben der Aids-Hilfe sind 300 Gefangene HIV -positiv oder bereits leicht an Aids erkrankt, 5 bis 10 Gefangene haben das Aids-Vollbild erreicht und befinden sich ständig im Haftkrankenhaus. Dessen Leiter Rex erklärte, bei rund 500 der etwa 3.500 Gefangenen sei bekannt, daß sie drogenabhängig seien. Die Insassenvertretung der Tegeler Haftanstalt brachte die Zustände in dem Knast im vergangenen Oktober auf den Begriff: „Die HIV-Rate explodiert, und keiner hält sie auf“. Im März - als immer noch nichts passiert war - griff die Insassenvertretung zur Selbsthilfe und verteilte an drogenabhängige Insassen in eigener Regie Spritzen. Die Verteilaktion der Spritzen - die auf geheimem Wege in die Anstalt gelangt waren, war von den Insassenvertretern an die Bedingung geknüpft, daß die drogenabhängigen Gefangenen zuvor die alte Spritze abgeben müßten. Die Aktion war ein voller Erfolg, währte aber nur wenige Tage, weil die Justizverwaltung davon Wind bekam und die Spritzen wieder einsammeln ließ.

Die jetzt von der Justizverwaltung ins Leben gerufene Arbeitsgruppe soll prüfen, ob die Spritzenvergabe ein geeignetes Präventionsmittel gegen die HIV-Infektion ist, und hinterfragen, ob es die Vergabe rechtlich möglich ist. An der Arbeitsgruppe, die sich einmal im Monat - insgesamt zehnmal - treffen soll, nehmen unter anderem der Rechtswissenschaftler Geppert und Vertreter der Deutschen und Berliner Aids-Hilfe teil. Gerd Wüst von der Aids-Hilfe hoffte im Gespräch mit der taz, daß die Spritzenvergabe von der Arbeitsgruppe befürwortet wird. Die Berliner Aids-Hilfe vertritt den Standpunkt, daß der Gesundheitsschutz der Gefangenen ein höheres Rechtsgut sei als die Vorschrift des §29 BTMG. Der §29 wird von der Aids-Hilfe ohnehin nicht für einen Hindergrund gehalten: Schließlich habe der Bremer Rechtswissenschaftler Lesting in einem Gutachten festgestellt, daß es für die Spritzenvergabe „im Strafvollzug“ einen „Ermessensspielraum“ gebe, weil diese Frage weder durch Gebote noch durch Verbote vorentschieden sei.

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