: Papier und Leinwand
■ „Von Eisenstein bis Tarkowsky. Malerei der Filmregisseure in der UdSSR“ - eine Ausstellung in München
Daß die Rede vom Malerischen im Film mehr sein kann als eine bloße Metapher, zeigt eine Ausstellung im Münchner Lenbachhaus, die Zeichung und Malerei von elf Filmregisseuren aus der UdSSR präsentiert. Die Nähe dieser Filmemacher zur Zunft der bildenden Künste wird in Werk- und Filmbeispielen demonstriert.
Die hier versammelten Großmeister des sowjetischen Films begannen alle als Szenenbildner; charakteristisch für ihre Arbeitsweise ist es, den Film noch vor Beginn der Dreharbeiten zu Papier zu bringen. Alexander Mitta etwa zeichnet einen Film dreimal: beim Verfassen des Drehbuchs, während der Vorbereitungsphase und schließlich als Arbeitsplan vor jeder Einstellung. Wladimir Naumow machte für manche Filme fünf- bis sechshundert Entwürfe. Viele dieser „technologischen“ Zeichnungen wanderten nach Drehschluß in den Papierkorb; was von solchen Arbeiten aus der Werkstatt des Filmemachers noch erhalten ist, zeigt jedoch die allmähliche Gehburt des Films aus der Zeichnung: leuchtend colorierte Entwürfe zu Kostümen und Dekoration von Lew Kuleschow, graphische Sequenzen zu Alexander Mittas Film Wie Zar Peter seinen Mohren verheiratete oder Sergej Eisensteins Skizzen zu Iwan der Scheckliche. Dasselbe Sujet auf Papier und Kinoleinwand: da läßt sich ganz nebenbei auch die Eigenart des jeweiligen Mediums verfolgen.
So manches Drehbuch entstand überhaupt erst aus einer zufälligen Bleistiftskizze. Auf längst verlorenen Papierfetzen, aus spontanen Kritzeleien während der Drehpause - wie die Zigarette für den nervösen Raucher (Mitta) - formen sich Filmideen, Szenen und Sujets, bildet sich langsam ein äußeres Erscheinungsbild, ein Stil, eine Stimmung. Über die Rolle der willigen Gehilfen hinaus, die ein Filmkonzept mit dürren Strichen aufs Papier bannt, wird die Zeichnung zur Quelle der Inspiration. Aus Wladimir Naumows filigranen Liniengespinsten - verwitternde Gesichter, verschlungene Gestalten einer Menschenmenge kritsallisieren sich Gesichtstypen heraus, nach denen man später die Darsteller aussucht („Mitunter murrten meine Assistenten unzufrieden: 'Wo sollen wir solche Visagen finden? Das sind doch Monster.'“) Doch auch umgekehrt kann der Film die Zeichnung inspirieren. Die graphischen Erzählungen des georgischen Regisseurs Reso Gabriadse, der oft nach Abschluß der Dreharbeiten wieder zum Bleistift greift, versammeln und verwandeln die Filmgestalten aufs Neue. So tummeln sich skurrile Figuren auf den fröhlich -märchenhaften Blättern, verbinden Alltagsszenen sich mit fiktiven „Himmelsfliegern“: ein munterer Spielplatz der Phantasie, in den mit leichter Hand realistische Dateils hineingeschnippt werden. Unbeschwert durch kunsttheoretischen Ballast, überlassen sich diese - soll man sie naiv nennen? - Zeichnungen einer ungebrochenen Fabulierfreude.
Gerade in Zeiten des Drehverbots und der staatlichen Überwachung öffneten Pinsel und Bleistift oft Fluchtwege für die zur Untätigkeit verdammten Filmemacher. Hier blieb Raum für Experimente, die - vor allem in den dreißiger Jahren dem Vorwurf des antiproletarischen „Formalismus“ ausgesetzt waren: hier ließ sich zum Ausdruck bringen, was im Film der (Selbst-) Zensur zum Opfer fiel - dem Berg der Autoritäten (Mitta, 1988): geierartige Altmännerköpfe, die von der Spitze einer aus Menschenleibern gebildeten Säule herabstieren.
Aber auch gegenüber der Filmtechnik und ihrem Aufwand an Planung genießt der Zeichner die Freiheit der spontanen und impulsiven Äußerung: „Da erinnert mich eine improvisierte Skizze - alle Zeichnungen sind Improvisationen - daran, daß ich kein Buchhalter, kein Ingenieur, kein Konstrukteur, sondern ein Künstler bin.“ (Mitta) Asketische Federstriche durchbrechen bei Rewas Essadse die schwarze Umgrenzung (Krug und Hand des Clowns, 1973), versiegen an anderer Stelle unvermittelt im freien Raum: „In der Zeichnung ist das wichtigste für mich die Bewegung außerhalb jeglichen Rahmens, die Bewegung der Linien aus dem Nichts und in das Nichts.“ Auch Eisenstein, dessen Zeichnungen so berühmt sind wie seine Filme, verfiel dem Schwung der Linien. Die reine Umrißlinie - und nicht etwa der Film! - galt ihm als ideales Medium der Veränderung und des Übergangs: als „Spur der Bewegung“ schlängelt sich der Bleistift um die unsichtbare Körperlinie. Die massiven Körper aus der „erotischen Serie“ entsteigen den Konturen, ohne daß Schraffuren oder Schatten für Volumen sorgen müßten. Mickey Mouse war für Eisenstein immer der Inbegriff der Zeichnung!
Programmatisch hat der Filmexperimentator Lew Kuleschow die Verbindung von Malerei und Filmtechnik formuliert. Im Brennglas des Szenenbildners sammeln sich nach Kuleschow die bildnerischen Fähigkeiten des Malers und Zeichners, die erst den wahren Regisseur ausmachen. Der „Szenenbildner“ arrangiert die handelnden Personen in der Einstellung, und „komponiert“ die Szene; er sieht die Ausdruckskraft einzelner Linien der Figur, die mehr als das psychologische Spiel den Bildeffekt prägen. Er berät den Kameramann in Fragen des Kolorits und der Farben, die gerade für die Montage von großer Bedeutung sind, denn, so Kuleschow, „die konsequente Abfolge der einzelnen Farben im Laufe eines tausende Filmmeter langen Streifens unterliegt eigenen malerischen Gesetzen und Besonderheiten.“ Seine Mitwirkung bei Fragen der Beleuchtung ist unumgänglich. Kurzum: Ein Regisseur, der selbst nicht auch Szenenbildner ist, kann nach Kuleschow kein Kunstwerk in der Kinematographie schaffen.
Womöglich genügen die Filme Sergej Paradschanows (Schatten vergessener Ahnen, Die Granatapfelblüte) diesem apodiktischen Anspruch, wenn sie sich als eine Reihung eigenständiger „malerischer“ Werke lesen lassen. Noch ausdrücklicher wird der Film zur Gemäldegalerie bei Tarkowsky, der häufig kunstgeschichtliche Zitate in den Film einwebt und Meisterwerke der Malerei zum Träger der Filmidee macht - etwa die Ikonen des „Andrej Rubljow“ oder die Madonna der Parto von Piero della Francesca in Nostalghia.
An den dunkel-leuchtenden Goldgrund von Ikonen erinnert oft auch die arme Farbigkeit der Gemälde gerade bei Gabriadse oder Paradschanow. Wenngleich verwurzelt in Tradition und Volkskunst, scheinen diese Arbeiten jedoch nicht von der Last eines gefräßigen historischen Bewußtseins gebeugt, das hierzulande jeden Schritt des Künstlers reglementiert. So verläßt der Besuchern nicht nur belehrt, sondern auch erfrischt die Ausstellung. Die Bilder verraten etwas über die Einstellung von Kunst; sie erzählen laut und mit vielen Stimmen - auf jeden Fall haben sie etwas zu sagen.
Huberta v. La Chevallerie
Die Ausstellung dauert noch bis zum 6.März 1990. Bis zum 11.April werden Filme der ausgestellten Regisseure, mit anschließender Diskussion, gezeigt. Der Katalog, herausgegeben von Igor Jassenjawsky, bietet einen ausgezeichneten Einstieg in das Thema, er kostet in der Ausstellung 39, im Buchhandel 68 DM (Prestel-Verlag)
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