: Die Sekundärtugenden der triumphierenden Greise
■ Helmut Schmidt prophezeite Oskar Lafontaines Wahlniederlage GASTKOMMENTAR
Schmallippig hat Helmut Schmidt in alle CDU- Wahlkampfzeitungen ein Geheimnis diktiert: Verlieren werde er, der Lafontaine, und zwar Gottseidank und hochverdient! Ja, sind wir denn immer noch auf dem Kasernenhof oder in der Prügelstrafen-Klippschule? Aber so sind sie, die triumphierenden Greise. Und so waren sie immer: Gnadenlos, nachtragend, niemals satt zu kriegen, den Satz „Vorwärts und nichts vergessen“ fest eingegraben in ihre gläsernen Herzen.
So falsch, Freundinnen meiner Jugend, lagen wir damals doch nicht mit unserem Teenager-Slogan. Trau keinem über dreißig! Und so daneben lag auch Oskar Lafontaine nicht, als er an Helmut Schmidt die Sekundärtugend „Zwangscharakter“ hinter der Primärtugend „pflichtbewußter Erster Diener seines Staates“ witterte. Die Gerontokratie der Nachkriegs-Dädalusse lastet allmählich wie ein Alp auf dieser Republik. Zäh wie Leder praktizieren sie noch immer die geniale Überlebenstüchtigkeit ihrer freudlosen Kinder-, Hunger- und Schwarzmarktjahre. So halten sie denn — trotz Herzinfarkt, Herzschrittmacher und Altherrenleiden — weiterhin die öffentliche Macht fest im Griff: die Schmidts, Lambsdorffs und Kohls, die Augsteins, Sommers und Frommes.
Woraus speist sich eigentlich diese unglaubliche Energie? Offensichtlich aus dem konzentrierten Willen, ihr Lebenswerk vor dem Zugriff unserer Unverfrorenheit zu bewahren. Sie haben zwar schon alles gewonnen, können aber trotzdem nicht großzügig sein. So nehmen sie immer noch Rache für '68, für diese mäßige Kränkung, für die wir doch schon längst bezahlt haben. Was haben sie doch für Tränen geweint über den abstürzenden Lafontaine, um nun im Chor entgeistert festzustellen: „Was, das Biest lebt immer noch?“
Es reicht, es reicht. Ich finde, wir haben unser Soll an Abstürzen allmählich übererfüllt. Wir haben genug in diesem Generationenkrieg verloren. Es wird Zeit, daß wir uns ein wenig schonen. Ich will keinen der Unseren mehr ihrer Unersättlichkeit überlassen, keinen Lafontaine und auch keinen Gysi.
Right or wrong — my generation! Antje Vollmer
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