: Kohls Griff in Bürgers Portemonnaie
■ Ob Steuern oder Abgaben, beide kommen aus demselben Portemonnaie/ Kohl kündigt Abgaben nach Wahl an/ FDP:„Merkwürdige Bemerkung“/ Lafontaine: „Lügengebäude zusammengebrochen“
Bonn (ap) — Kanzler Kohl hat für die Zeit nach der Bundestagswahl eine höhere finanzielle Belastung der Bürger angekündigt und damit den Koalitionspartner FDP aufgebracht. Die Deutschen müßten in der kommenden Legislaturperiode „an dem einen oder anderen Punkt mehr zahlen“, sagte der CDU-Vorsitzende am Wochenende. FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff reagierte verärgert: „Ich finde es erstaunlich, 14 Tage vor der Wahl eine solch merkwürdige Bemerkung loszulassen.“ Die CDU sei steuerpolitisch unzuverlässig.
Er habe nie gesagt, es werde keine Steuer- oder Abgabeerhöhungen geben, sondern nur, die Steuern würden nicht für die deutsche Einheit erhöht, erinnerte Kohl. Zugleich räumte er ein, daß der Unterschied zwischen beiden Formen der Belastung „nicht so relevant“ sei. Schließlich müsse der Bürger Steuern wie Abgaben „aus demselben Portemonnaie zahlen“.
Der Kanzler, der zwei Wochen vor dem Urnengang auf einem CSU- Wahlkongreß Steuererhöhungen „zum gegenwärtigen Zeitpunkt“ als „falsches Signal“ bezeichnete, gab zu bedenken, daß Bund, Länder, Gemeinden und Bürger für die nationale Aufgabe der Finanzierung der Einheit Opfer bringen müßten. Als denkbar bezeichnete er die Einführung einer Kohlendioxid- und weiterer Abgaben im Umweltbereich.
Ihm gefalle „der Weg der Abgabe besser als der der Steuer, weil derjenige, der sich rechtzeitig darauf eingestellt hat und nun weniger Schaden erzeugt, belohnt wird“. In München bekräftigte der Regierungschef: „Wir kommen nicht umhin, über die Erhöhung der Abgaben zu reden“. Lambsdorff sagte, mit der FDP kämen Steuererhöhungen „nicht in Frage“.
Auf Papiere in den Schubladen der zuständigen Ministerien eingehend, sagte Lambsdorff, die Begründungen für Steuererhöhungen seien „alle falsch“. So müsse die Mehrwertsteuer nicht erhöht werden, weil dies die Harmonisierung in Europa verlange. Wer wegen der Golfkrise die Mineralölsteuer anheben wolle, müsse „von allen guten Geistern verlassen“ sein, weil höhere Ölpreise damit künstlich verteuert würden. Und was Umweltschutzabgaben betreffe, so dürften sie nur so ausgestaltet sein, „daß dadurch die Steuerbelastung insgesamt nicht erhöht wird“. Das „Chaos beim Koalitionspartner“ CDU/CSU „kann einen wirklich erschrecken“.
SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine sagte, die Schubladenpläne der Bundesregierung offenbarten einen „versuchten Wählerbetrug“. Kohls Salto in der Steuer- und Abgabenpolitik sei „ein Zeichen von Kopflosigkeit in großer Bedrängnis“. Mit dem Geständnis des Kanzlers sei „das Lügengebäude um die Finanzierung der deutschen Einheit zusammengebrochen“.
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