Fußnoten der Kriegsgeschichte

■ Kriegsdienstverweigerer in den USA — ihre Einsperrung durch die Militärs und ihre Aussperrung durch die Medien

Im Januar 1991, als die USA sich auf den Krieg am Persischen Golf vorbereiteten, kam John Pruner zum Fort Riley nach Kansas zurück. Seine Versuche, sich als Kriegsdienstgegner aus Gewissensgründen („conscientious objector“, CO) registrieren zu lassen, waren zuvor an undurchschaubaren Regelveränderungen gescheitert; seiner Bitte um Beschäftigungsänderung und Aufhebung seines Status als Geheimnisträger war nicht entsprochen worden und eine Klage vor dem Bundesgericht auf Zulassung seines Antrags zur Anerkennung als CO hatte keine Zusicherung erbracht, daß er während des Verfahrens nicht am Golf eingesetzt werden könnte.

Als er sich 32 Tage später in Fort Dix, New Jersey, stellte, wurde er, im Gegensatz zu anderen, die ohne Urlaubserlaubnis ferngeblieben waren, nicht freigelassen. Statt dessen zerrte man ihn eines Nachts aus dem Bett, legte ihm Handschellen an und schickte ihn nach Fort Riley, wo eine Presseerklärung über seine Gefangennahme bereits vorbereitet worden war. Er erhielt Urlaubs- und Ausgangssperre für fünf Monate.

Aus aufgeschnappten Gesprächsfetzen erfuhr John Pruner, daß er zu einer „nationalen Schande“ geworden war.

„Ich hatte im November beschlossen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um auf gesetzlichem Wege als CO entlassen werden zu können“, erklärte Pruner. „Aber wenn mir die Armee keinen legalen Weg zugestehen würde, war ich entschlossen, alles zu versuchen, egal um welchen Preis. Mit dieser Armee, die einen Krieg anfing, wollte ich nichts mehr zu tun haben.“

Der hohe Anteil schwarzer Soldaten an Verweigerern

Im gleichen Monat wurde Eric Hayes, ein Korporal der Reserve bei den Marines und Student der Southern Illinois Universität, wegen unerlaubter Abwesenheit von der Truppe zu acht Monaten Militärgefängnis verurteilt. Als seine Einheit Ende Oktober 1990 zum aktiven Dienst abgerufen wurde, hatte Hayes sich ihr nicht angeschlossen, sondern statt dessen öffentlich erklärt, er sei gegen diesen Krieg und habe CO- Status für sich beantragt. Zwei Wochen später wurde er aus dem Schlafsaal heraus verhaftet und nach Camp Lejeune in North Carolina geflogen, der erste von insgesamt 28 Marines, die dort aus dem ganzen Land zusammengeholt und abgeurteilt werden sollten. Eric Hayes verbrachte vor dem Kriegsprozeß 40 Tage in Einzelhaft und wurde nach geringer Reduktion seiner Haftzeit im Juni 1991 entlassen.

Neun Monate später und wieder Student an seiner Universität, an der er Präsident der Schwarzen Studentengewerkschaft ist und außerdem für benachteiligte Jugendliche arbeitet, sagt Eric Hayes: „Ich habe nicht an diesen Krieg der Reichen geglaubt. Die meisten Leute gehen aus ökonomischen Gründen zur Armee, das ist der häufigste Grund überhaupt: Die neuen Regelungen der Sozialhilfe für Arme, Latinos, Schwarze und Weiße. Auch 1987 oder 1988 wußte ich schon, daß ich nicht wirklich kämpfen wollte. Aber ich wußte auch, daß ich gegen sie nicht gewinnen konnte, deshalb habe ich mich gleich schuldig bekannt. Weiße dürfen langsam erwachsen werden, lesen und nachdenken. Aber wenn Schwarze erwachsen werden (und ihre Meinungen ändern), dann fragen sie dich: ,Wer hat dir denn den Floh ins Ohr gesetzt?‘“

Eric Hayes berichtet, daß bei seiner Ankunft in Camp Lejeune einer seiner Gefängniswärter sagte: „Hey, hier haben wir ja wohl den schwarzen Führer vom Unicampus.“ Auch wenn das eine der üblichen paranoiden Bemerkungen weißer Marines ist — tatsächlich gab es in der Kriegsgegnerbewegung eine deutliche Überrepräsentation von schwarzen Soldaten. Die „War Resisters League“ schätzt, daß fast die Hälte aller CO-Anträge von Afro-Amerikanern gestellt wurde. Die überwältigende Mehrzahl derer, die diese Anträge bearbeiten und entscheiden, sind weiß. Angesichts der Vorurteile darüber, was ein CO ist, hatten die meisten Schwarzen größte Schwierigkeiten, ihre Richter von der Ernsthaftgkeit ihrer Haltung zu überzeugen.

Der Prozentsatz schwarzer Amerikaner in der US-Armee ist überproportional hoch: nach Angaben des Komitees für „Conscientious Objectors“ sind 22,9 Prozent der Militärangehörigen im aktiven Dienst Schwarze, das entspricht einem doppelten Prozentsatz ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung. Andere Minderheiten stellen weitere 7,7 Prozent.

Tahan Jones, ein 21jähriger moslemischer Afro-Amerikaner und der einzige der Lejeune-COs, der bis heute noch auf seinen Prozeß wartet, ist einer von denen, die direkt nach Schulabschluß zu den Marines ging. Während eines Kurses in Afro-Amerikanischen Studien kamen im jedoch erste Zweifel.

Bei seiner Anhörung bezeichnete der weiße Offizier die Quäkergruppe, von der Jones sich beraten ließ, als „Randgruppen-Organisation“ und fragte Jones, wie er sich verhalten hätte, wenn er im Bürgerkrieg oder in Südafrika hätte kämpfen sollen. In seiner Beurteilung nach der Anhörung schrieb dieser Offizier in einem Gutachten, „Korporal Jones ist äußerst beeinflußbar und naiv“, „seine Rückkehr zur ,Menschlichkeit‘ stammt offensichtlich aus seiner vorurteilsgesättigten Herkunft und begründet sich aus seiner Klage gegen das ,System‘, das unterdrückerisch und empörend sei und offenbar an allen Übeln der Welt schuldig ist“. Jones' Antrag zur Zulassung für ein CO-Verfahren wurde abgelehnt. Nach seiner Meinung war dieses Gutachten Rufmord. „In einer Umfrage habe ich gelesen, daß 54 bis 56 Prozent aller Weißen Schwarze für unpatriotisch, gewalttätig, faul und dumm halten. Außerdem glauben die meisten Leute, daß der Islam eine kriegerische Religion ist oder daß wir alle Terroristen sind. Sie ertragen es einfach nicht, wenn ein Schwarzer eine Meinung hat.“

„Die wohl unpopulärsten Angeklagten der USA“

Seit 1980 sind die USA ausschließlich auf Freiwillige für die Streitkräfte angeweisen; rekrutiert wird hauptsächlich unter den AbgängerInnen der Highschools. Viele melden sich, die dann oft noch ein Jahr Aufschub bekommen oder sich gleich für die Reserve eintragen, um zunächst Berufsausbildung oder Studium abzuschließen.

Sobald klar war, daß sich die USA auf einen Krieg am Golf vorbereitete — die größte Militäraktion seit Ende der Wehrpflicht — setzten sich Soldaten des aktiven Dientes gegen ihre Einsatzbefehle zur Wehr. Als dann auch die Reserve abgerufen wurde, meldeten Militärberater, Anwälte und Politiker aus dem ganzen Land eine Flut telefonischer Anfragen über die Möglichkeit von CO-Anträgen. COs mit politischer Erfahrung beriefen Pressekonferenzen ein, um ihre Opposition gegen den drohenden Krieg zu erklären; sie gaben Interviews und wurden zu Sprechern der Antikriegsgruppen.

Der erste CO im aktiven Dienst, der zu einer Medienberühmtheit wurde, war der Marinekorporal Jeffrey Patterson. Als seine Einheit im August 1990 von ihrer Basis in Hawaii an den Persischen Golf geflogen werden sollte, weigerte er sich, einzusteigen und setzte sich auf die Startbahn. Noch während seines Prozesses vor dem Kriegsgericht im Dezember wurde er „unehrenhaft“ entlassen, doch hatte seine Aktion inzwischen viele Soldaten auf die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung aufmerksam gemacht, eine Möglichkeit, über die sie nach eigenen Angaben vorher nie aufgeklärt worden sind.

Dieses Schauspiel von Menschen, die sich einmal für die Armee entschieden hatten und jetzt nicht kämpfen wollten, verblüffte und empörte Militärführung und Öffentlichkeit. Gewissen stand gegen Patriotismus, die Rechte des Individuums gegen militärische Pflicht, Dissenz gegen Loyalität und die Machtlosigkeit der einzelnen Soldaten gegen ein übermächtiges Militär. Claire Overlander, eine Anwältin, die COs in Prozessen noch während des Kriegs vertrat, bemerkt mit kühlem Understatement: „Die Angeklagten in diesen Prozessen sind zur Zeit die wohl unpopulärsten Angeklagten Amerikas.“

In ihrer Berichterstattung bemühten sich Journalisten kaum, ihre Mißbilligung über die Kriegsgegner im Zaume zu halten. „Ein Arzt aus Brighton verlor seinen Fall im versuchten Wortbruch gegenüber der Armee; für ein freies Studium der Medizin hatte er sich zum Dienst in der Air Force verpflichtet.“ Mit solchen Zeilen würdigte der 'Boston Globe‘ am 23.Januar 1991 das Urteil gegen einen Arzt, der zu erreichen versucht hatte, während seiner Anhörung als CO nicht an den Golf geschickt zu werden; er hatte angeboten, der Armee die Kosten seiner Ausbildung zurückzuerstatten.

Unter Schlagenzeilen wie „Gegen das militärische Leben, für das er sich selbst einmal entschied“ ('Washington Post vom 14.Januar 1991) und „Stadt in Michigan verstößt ihren Sohn, einen Pazifisten“ ('The Oregonian‘ vom 14.Juli 1991) wurden hauptsächlich andere Soldaten und ihre Angehörigen zitiert, die ihrer Empörung gegen die COs freien Lauf ließen; im größten Teil der Fälle wurde ihnen entschieden mehr Platz eingeräumt als den COs selber. Der 'Boston Globe‘ vom 19.April 1991 plazierte einen Artikel über einen kriegsdienstverweigernden Soldaten neben einem Foto, das einen Marinesoldaten bei der Rückkehr vom Golf zeigt; seine Frau umarmt ihn, und ein fähnchenschwenkendes Kind schaut ihnen zu.

Der Dissent der Soldaten wurde selten im Kontext gewürdigt und weder die Frage nach der Militärjustiz noch das Recht der Soldaten auf freie Rede thematisiert; Ausnahmen waren Dean Murphy in der 'Los Angeles Times‘, Laurie Goodstein in der 'Washington Post‘, Bruce Shapiro in 'The Nation‘ und die Kolumnen von Coleman McCarthy und Jesse Jackson.

Lange nachdem Restriktionen für alle anderen Journalisten in Fort Lejeune aufgehoben waren, durften diejenigen, die über COs berichteten, ihre Interviewpartner weiterhin nur mit Begleitung durch einen Public-Relations-Offizier aufsuchen. Wer sich mit den Dissidenten frei unterhalten wollte, versuchte, sich mit ihnen außerhalb der Basen zu treffen.

Im Laufe des Sommers, als mehrere Prozesse endlich stattfanden, gab es so gut wie keine Berichterstattung mehr. Goodstein berichtet, daß die 'Post‘ trotz des früheren Ineresses ihres Chefredakteurs an einer Fortsetzung der Berichterstattung nicht mehr interessiert war. Im Herbst schließlich waren die Soldaten unter den Kriegsgegnern derart uninteressant für die Medien geworden, daß William Grimes, Redakteur des 'New York Times Magazine‘, auf den Vorschlag für einen entsprechenden Artikel antwortete: „Mir scheint die Story ziemlich unwichtig [...], nicht mehr als eine Fußnote zum Golfkrieg.“

Zu diesem Zeitpunkt waren noch 28 Antragsteller in Haft.Nan Levinson

Nan Levinson ist USA-Korrespondentin von 'Index on Censorship‘. Ihr Artikel ist stark gekürzt.