: A U S D E N R A T H Ä U S E R N
Stasi als Wirtschaftsfaktor
Leise, leise schleicht sie sich in unsere Sprache zurück. Real existierend gibt es die DDR zwar nicht mehr. Aber irgendwie da ist sie mehr denn je. Westberliner wie Ostberliner, ob im Rathaus oder auf der Straße, reden alle plötzlich wieder von »der DDR«, wenn sie dieses zunehmend unbeschreibliche Land meinen, das nach wie vor auch gerne als »Ostzone« bezeichnet wird. Das Kürzel »FNL« für die fünf neuen Länder hat sich dagegen ebensowenig durchgesetzt wie die eigentlich sehr einprägsame amtsdeutsche Bezeichnung, wonach es sich schlicht um »das in Artikel drei des Einigungsvertrages genannte Gebiet« handeln soll. Selbst die Bemühungen praktisch veranlagter Menschen, die diesen Bandwurm sogleich als »DIN A3-Gebiet« abkürzten, konnten da nichts ändern.
Die DDR gibt es nicht mehr. Das, was von ihr geblieben ist, ist »die DDR«. Jetzt endlich zurecht in Anführungszeichen. Aber wer hätte gedacht, daß auch »die Stasi« fortdauert? Nicht, daß plötzlich der Unsinn wahr würde, den einige Weißwäscher immer wieder verbreiten: daß die Stasi angeblich ihren letzten großen Sieg erlebt, wenn sich nun allerlei Leute für ihre Mitarbeit bei der Firma rechtfertigen müssen.
Nein, »die Stasi« lebt fort als — Wirtschaftsfaktor. Es war Bundessenator Peter Radunski, dem diese Enthüllung am Montag ganz beiläufig entschlüpfte — als er von den Bonner Politikern erzählte, die den Berlinern allerlei Behörden wegnehmen wollten, weil die ja schon »die Treuhand und die Stasi« hätten. Ja, die Stasi! Wenn wir die nicht hätten! Rein aus arbeitsmarktpolitischer Sicht wäre das fatal, denn die Zahl der Arbeitslosen wäre um einige hunderttausend größer. Nun darf man vermuten, daß Radunski und die von ihm zitierten Bonner Gewährsleute nicht »die Stasi« im Wortsinn meinten, sondern nur das, was von ihr heute übriggeblieben ist, nämlich ihre Akten und die Behörde des Sonderbeauftragten Joachim Gauck, die nur wenige hundert Menschen beschäftigt.
Daß es kein simpler Versprecher war, was dem Bundessenator entfuhr, sondern ein stilprägender Lapsus, das belegte ein kongenialer Ausrutscher von Sibyll Klotz, der Ko- Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Grüne. Nach der Sitzung des Ehrenrats, der die Stasi-Vergangenheit der Berliner Abgeordneten beleuchten sollte, erzählte sie von einem Verdächtigen, der deshalb entlastet worden sei, weil er keine verfänglichen Berichte »an die Gauck-Behörde« geliefert habe. An die Gauck- Behörde? Ach nein, sie meinte natürlich die Stasi.
Es ist alles schrecklich kompliziert. Und Gauck, das ist die Stasi von heute. Gauck sei Dank, denken da die Westberliner: Das passiert ja alles »in der DDR«!Hans-Martin Tillack
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