: »Zuhälterei ist parasitär«
■ Angeklagter wegen Zuhälterei zu drei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt/ Das Gericht: »Zuhälterei ist eine der dreckigsten Tätigkeiten«/ Staatsanwältin forderte nur zwei Jahre
Moabit. Mit der Verhängung von drei Jahren und drei Monaten Haft ging gestern vor dem Landgericht der Prozeß gegen den 26jährigen Mario M. zu Ende, der eine 17jährige Frau aus Frankfurt/Oder mit falschen Versprechungen nach Berlin gelockt und hier zur Prostitution gezwungen hatte.
Die Worte, mit denen der Vorsitzende Richter der 22. Strafkammer, Friedrich-Karl Föhrig, die wegen Menschenhandels, Zuhälterei und Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger erlassene Strafe begründete, ließen an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig: »Zuhälterei ist eine der dreckigsten parasitären Tätigkeiten der Halb- und Unterwelt«. Auch die Staatsanwältin, die zwei Jahre Haft gefordert hatte, bekam von Föhrig ihr Fett ab: »Der Antrag der Staatsanwaltschaft entspricht nicht dem Gewicht, den die Strafkammer der Zuhälterei und ihren widerwärtigen Auswüchsen bemißt«. Um nicht mißverstanden zu werden, betonte der Richter jedoch ausdrücklich, daß Prostitution an sich »eine selbstverständliche Begleiterscheinung jeder Gesellschaft ist«.
Der 26jährige Angeklagte, der als Beruf Automechaniker angab, wurde in Frankfurt/Oder geboren und 1985 von der Bundesrepublik freigekauft. Zuvor hatte er in der DDR wegen versuchter Republikflucht acht Monate in U-Haft gesessen. Vor Gericht leugnete er zunächst, die 17jährige Kerstin G. im August vergangenen Jahres von Frankfurt/Oder nach Berlin gelockt und hier ein knappes Vierteljahr in der Bar »Mazurka« und in einem Sexkino zum Anschaffen gezwungen zu haben. Die junge Frau sei »freiwillig in die »Mazurka«-Bar gegangen und »freudestrahlend« nach Hause gekommen, als sie ihren »ersten Freier« gehabt habe. Er habe Kerstin G. auch nie in der gemeinsamen Wohnung eingeschlossen geschweige denn ihr sonst irgendeine Gewalt angetan. Nachdem der Vorsitzende jedoch Auszüge aus dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll der 17jährigen verlesen hatte und deutlich signalisierte, daß er ihrer Aussage mehr glaube, räumte der Angeklagte die meisten Vorwürfe ein. Nur was das Alter von Kerstin G. anging, blieb er dabei, geglaubt zu haben, sie sei bereits 18 Jahre alt.
Kerstin G., die gestern in Begleitung mehrerer Polizeibeamter vor Gericht erschien, wohnt inzwischen in einer geheimen Wohnung. Aufgrund des Geständnisses des Angeklagten blieb ihre eine lange Befragung vor Gericht erspart. Sie erklärte nur kurz, daß der Angeklagte sehr wohl gewußte habe, daß sie zum Tatzeitpunkt erst 17 gewesen sei: »Er hatte von Anfang an meinen Reisepaß«. Und auf die Frage, ob sie sich jetzt noch bedroht fühle: »Ich habe Angst, daß mir jemand etwas antut«.
Die junge Frau hatte Mario M. in einer Diskothek in Frankfurt/Oder kennengelernt, wo sie als Kellnerin arbeitete. Sie war dem Mann nach Berlin gefolgt, weil sie seinen Versprechungen glaubte, hier als Kellnerin mehr verdienen zu können. Als sich herausstellte, daß es sich bei dem neuen Job nicht nur um eine Animiertätigkeit, sondern um Prostitution handelte, weigerte sie sich, wurde von dem Angeklagten aber mit Gewaltanwendung dazu gezwungen. Bis auf ein Taschengeld nahm er ihr sämtliche Einnahmen ab, die vom Gericht auf rund 25.000 Mark geschätzt wurden.
In der Urteilsbegründung sprach der Richter davon, daß Kerstin G. mit ihrer Aussage großen Mut bewiesen habe. Leider sei dies »im Milieu« höchst selten. plu
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