Die vielen Gesichter der Marianne

■ Französische Polit-Karikatur in der Unibibliothek Mainz

Abtreiben verboten!“ brüllt der Flic und schlägt einer vor ihm stehenden Frau mit dem Gummiknüppel knapp und hart so heftig auf den Kopf, daß sie ihr Kind verliert — es fällt einfach zu Boden.

Jean Marc Reisers Karikatur aus dem Jahr 1972 führt die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs ad absurdum. Nicht an größerer Pressefreiheit liegt es, daß in Frankreich die Bildsatire schärfer ätzt als hierzulande, und Reisers Karikatur ist nur ein typisches Beispiel des Genres.

In Deutschland war die Pressevielfalt seit jeher größer als im Nachbarland; und die französische Pressegeschichte ist nicht minder von der Zensur geprägt als die hiesige. Allerdings besitzt sie eine längere satirische Tradition, welche in der Französischen Revolution begann, indessen die Deutschen moralinsauren Humor bevorzugten. Erst 1848 fanden sie gleichfalls Gefallen an aggressivem Spaß. Damals hatte die französische Presse ihren Frühling bereits hinter sich. Honoré Daumier, Grandville, Philipon und andere hatten um 1830 in den Zeitschriften 'La Caricature‘ und 'Charivari‘ die Karikatur zum Hauptanliegen der Blätter gemacht. Nach der endgültigen Etablierung der Republik erschien im Jahr 1908 in 'L'Assiette au Beurre‘ eine Farblithografie, die einen über die jüngste Geschichte nachdenkenden Arbeiter zeigt. Vor seinem inneren Auge sieht er einen karnevalesken Zug. An der Spitze geht Marianne, den Kopf LudwigXVI. hochhaltend. Napoléon Bonaparte gräbt ihr den Boden ab. Einige Stationen weiter schickt eine etwas betagte und pummelige Marianne NapoléonIII. ins politische Nirwana, wird aber schon von einem leeren Thron bedrängt, dessen Schriftzug 'Le Matin‘ (eine der großen Tageszeitungen) von der Macht der Presse kündet. Die Erkenntnis des Arbeiters klingt fatalistisch: „Die Regierenden von heute sind im allgemeinen die Rebellen von gestern.“

Bis zu Mitterrand hat sich daran nichts geändert. Vom Traum einer linken Alternative, der seine erste Wahl zum Präsidenten bewirkte, blieb nichts übrig. Damals zeichnete Kerleroux ihn als frostigen Liebhaber der ihn aufreizend umwerbenden Marianne. Eine im Februar dieses Jahres veröffentlichte Karikatur zeigt ihn als erschlafften Liebhaber neben einer maulenden Marianne im Ehebett liegend.

Die Ausstellung in der Mainzer Universitätsbibliothek ermöglicht einen Überblick über die französische Pressesatire von ihren Anfängen bis heute.

Um nicht nach dem Gießkannenrezept zu verfahren — schließlich galt es, 200 Jahre in 180 Exponaten unterzubringen —, wurden Schwerpunkte herausgegriffen. Zu ihnen gehören außer den oben genannten zwei weitere Zeitschriten: der 'Pêre Duchesne‘ aus der Revolutionszeit und sein Nachleben sowie der seit 1916 erscheinende 'Canard enchaîné‘. Dieses Blatt gehört der Belegschaft und lebt ausschließlich vom Verkaufspreis. Mit seinem Verzicht auf Werbung und die damit gewonnene Unabhängigkeit ist es nur mit 'Mad‘ vergleichbar. Bekannt sind die vom 'Canard‘ enthüllten Skandale, trotz aller Repressionsversuche. Im 'Nouvel Observateur‘ wurde seine Enthüllung der Korruptionsaffäre Giscard d'Estaings mit einer Zeichnung gewürdigt, in der eine kleine Ente unbeirrbar dem mit einer Flinte bewaffneten Präsidenten folgt, dessen Augen durch riesige Klunker ersetzt sind.

Deutlich wird die Arbeitsweise der satirischen Presse durch ein Arrangement der Bilder nicht nach Themen und Motiven, sondern nach den Zeitschriften. Einige pressegeschichtliche Katalogaufsätze verstärken den mediengeschichtlichen Akzent. Christoph Danelzik

Französische Presse und Pressekarikaturen 1789-1992. Ausstellung Mainz: Universitätsbibliothek. Bis 17.Juli 1992. Katalog 25DM.