: Noch steigt die Lebenserwartung
■ Hamburgs Frauen sind zäh wie nie zuvor / Lebenserwartung erreicht neue Rekordwerte / National ist Baden-Württemberg vorn, international lebt sich's in Japan am längsten
Während das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel sich tiefe Sorgen um die Gesundheit des deutschen Kindes macht, und manche Frau klagt, in diese Welt dürfe man keine Kinder setzen, haben die Statistiker noch gut lachen. Ein neugeborenes Hamburger Baby kann sich heute auf 72 (Jungen) bzw. 79 (Mädchen) Lebensjahre freuen, soviel wie nie zuvor. In Baden-Württemberg sind es 73 und 80, in Japan gar 76 und 81 Jahre.
Vor 100 Jahren war die Situation noch radikal anders. Im Hamburg des Jahres 1891 starben 7300 Kinder unter 10 Jahren, fast genau die Hälfte der 14700 Todesfälle dieses Jahres. Zum Vergleich: Das nächstgrößte Todesjahrzehnt, die Altersgruppe zwischen 60 und 70, kam auf gerade 1200, nicht einmal zehn Prozent. 25 Prozent der Neugeborenen überlebten damals das erste Jahr nicht. Heute sind das 0,7 Prozent der Hamburger Deerns und 0,9 Prozent der Hamburger Jungs. Kein Wunder, daß sich die Lebenserwartung für Kinder überdurchschnittlich, von damals 34 auf heute weit über 70 Jahre mehr als verdoppelte. Erheblich bescheidener die Zuwächse bei den Älteren: Ein 40jähriger Mann konnte sich Ende des letzten Jahrhunderts in Hamburg statistisch auf den 64. Geburtstag als Todestag einrichten, heute hat er mit einer Lebenserwartung von noch 34 Jahren den 74. im Visier. In allen Altersgruppen ging die Sterblichkeit zurück, je niedriger das Alter, desto höher der Rückgang.
Frauen lebten schon immer länger. Sie haben ihren Vorsprung in den letzten 100 Jahren von durchschnittlich vier auf sechs Jahre kräftig ausgebaut, obwohl die Männer ihre „Übersterblichkeit“ (erheblich höhere Todesrate) im Alter zwischen fünf und 25 verringern konnten. Die trockenen Zahlen liefern der Fantasie Nahrung hinsichtlich der Ursachen des Lebenserwartungsmatriarchats.
1Im regionalen Vergleich der Bundesländer stirbt es sich in Westberlin am schnellsten. Männliche Babys beispielsweise haben um drei Jahre geringere Lebenserwartung als im Lebenserwartungseldorado Baden- Württemberg. Generell lebt es sich in den ländlich geprägten Flächenstaaten länger. Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hessen bieten die besten Lebenschancen, in NRW, Rheinland-Pfalz und im Saarland liegt man etwa auf Bundesschnitt. Die Stadtstaaten bilden das Schlußlicht, mit der roten Laterne Berlin. Auffällig: Wer es in Hamburg geschafft hat, 60 Jahre alt zu werden, hat dann wieder allerbeste Chancen auf Lebensalterrekorde. Unter den Älteren nämlich kommt Hamburg fast an die Rekordwerte Baden-Württembergs heran, ja übertrifft sie bei alten Frauen sogar. So dürfen sich 75jährige in
1Hamburg auf weitere 11 Jahre freuen, im Bundesschnitt sind es zehneinhalb, in Baden-Württemberg zehn Jahre und zehn Monate.
International leben Männer am längsten in Japan. Es folgen Island, Schweden, Griechenland, die Schweiz und Hongkong. Westdeutschland liegt auf Platz 20, hinter Großbritannien und vor Costa Rica, die Ex-DDR findet sich gar erst auf Platz 34 zwischen Chile und Uruguay. Eine etwas andere Rangfolge zeigt sich bei den Frauen: Japan vorn, auf den Plätzen dann aber die Schweiz, Frankreich, Kanada, Schweden und Island. Westdeutschland findet sich hier schon auf Platz 15 zwischen Österreich und Finnland, die Ex-DDR- Frauen auf Rang 33 hinter Kuwait und vor Chile. Auf Werte wie vor 100 Jahren in Hamburg kommen Nepal, Indien, Ägypten, die farbige Bevölkerung Südafrikas und Sim-
1babwe. Hier liegt die Lebenserwartung zwischen 49 (Nepal) und 57 Jahren (Simbabwe).
Diese Werte der Statistik sagen natürlich nichts über die Zukunft. Sie liefern ein Bild der aktuellen Sterblichkeit in den Ländern, haben aber weder Aids noch Krebsepidemien wg. Umweltgiften noch Kriege und die sich abzeichnenden Flächenbrände des Hungertodes in der Dritten Welt im Blick. Vielleicht ist es ja wie mit den Treibhausgasen: So, wie wir jetzt erst die Folgen des Energieraubbaus der 50er und 60er Jahre spüren, so werden sich die Folgen des Kampfes zwischen neuen Umweltgiften und medizinischem „Fortschritt“ erst in einigen Jahrzehnten in den Zahlenkolonnen der Lebenserwartungsstatistiken niederschlagen. Bei Aids, Krieg und Hungerepidemien geht das mit tödlicher Gewißheit schneller. Florian Marten
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