: Mythos von Heldenhaftigkeit-betr.: "Der Denkmalschutz", taz vom 7.8.92
Betr.:„Der Denkmalschutz“, 7.8.1992
Revolutionärer Überschwang und die Lust zu fabulieren haben den Schriftsteller Peter Schütt offenbar überwältigt und in seiner Erinnerung manches verklärt, manches durcheinandergebracht. Tatsächlich gab es drei Aktionen gegen das Denkmal des Kolonialhelden Hermann von Wissmann vor dem Hauptgebäude der Hamburger Universität. Die erste Aktion war ein Happening, ein Protest und ein demonstrativer Sturz: er war erfolglos, sollte wohl gar nicht erfolgreich sein, denn die Öffentlichkeit und die Polizei waren benachrichtigt. Der Universitätsjurist, der später die Beteiligten aufforderte, den Garten vor der Universität zu verlassen, mußte selbst lachen über das Happening: Patrick Steckel, jetzt Intendant in Bochum, las Brecht, Peter Schütt hauptsächlich eigenes und Neckermann, Sinologie-Student, der einen Haarkranz wie Rainer Langhans in Berlin trug, pustete Seifenblasen in die Luft. Die Polizei nahm fest, wendete Gewalt an, die Staatsanwaltschaft eskalierte, klagte aber nur Hausfriedensbruch an, nachdem sie Landfriedensbruch fallengelassen hatte.
Der Prozeß erregte Aufmerksamkeit und die Öffentlichkeit sollte aufgeklärt werden. Dafür wurden die Mittel eingesetzt, die es in politischen Prozessen gibt. Die Erinnerung trügt Peter Schütt allerdings: weder wurde die Hauptverhandlung vor dem 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts geführt noch zog das Gericht auf Antrag der Verteidiger Kurt Groenewold und Franz Josef Degenhardt in das Audimax. Der Prozeß begann vor dem Einzelrichter Schmidt, der Zitatenschmidt genannt wurde, und später Werner Hoppe in einem umstrittenen Urteil zu 10 Jahren verurteilte. Die Angeklagten blieben vor der Tür und das Gericht lehnte den Antrag der Verteidigung ab, wegen der Bedeutung des Falles für die deutsche Geschichte und für den politischen Kampf gegen den Kolonialismus die Verhandlung in das Audimax zu verlegen. Daraufhin erschienen die Angeklagten nicht. Richter Schmidt erließ Haftbefehl, die Polizei aber blieb milde oder vorsichtig auf Abstand. Im Audimax sprachen viele zur Verwicklung Deutschlands in den Kolonialismus und Neokolonialismus und über die anhaltende Ausbeutung der Völker der Dritten Welt: Der Richter bot Haftverschonung an, wenn die Angeklagten noch am Nachmittag bei ihm erschienen. Die Verhandlung ging am nächsten Tag ohne die Angeklagten weiter und endete nach kurzer Zeit mit einer Verurteilung.
Noch interessanter war die Verhandlung vor dem Berufungsgericht, der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hamburg. Der Vorsitzende Richter Busch war sehr erregt und benahm sich so wie man es von einem autoritären Richter erwartete. Er hatte einen hochroten Kopf und wurde laut. Er wünschte sich Ruhe, von den Verteidigern Unterordnung oder Zusammenarbeit. Er forderte mich auf, meinen Kollegen Degenhardt zur Mäßigung anzuhalten. Die Verhandlung war lehrreich: die Angeklagten sprachen über die politischen Positionen, über den fortwirkenden Kolonialismus und die Greueltaten der deutschen Kolonialsoldaten. Fanon, Memmi und Sartre wurden ausgiebig zitiert, ebenso die frohlockenden Berichte der Offiziere, die den Herero-Aufstand niedergeschlagen hatten. Auf Seiten der Verteidigung wurden Historiker über die Taten Wissmanns und die deutschen Eroberungszüge durch Südwestafrika gehört. Niemand mochte danach noch verstehen, daß das Denkmal von Wissmann als Repräsentant einer solchen Kolonialpolitik noch vor der Universität stehen sollte. Trotzdem: Der Richter Busch verurteilte wegen Hausfriedensbruch.
Der Fall ging später tatsächlich an das Oberlandesgericht, denn ich hatte gegen die Verurteilung Revision eingelegt. Zu meinem Erstaunen folgten die Richter der Argumentation, der Universitätsjurist habe auch gelacht und deshalb sei seine Aufforderung, den Garten vor der Universität zu verlassen, nicht als ernsthaft anzusehen. So wurde das Urteil aufgehoben und die Sache sollte neu vor dem Berufungsgericht verhandelt werden. Peter Schütt erinnert nun wieder richtig: dazu kam es nicht, weil die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt 1969 eine Amnestie für alle Personen beschloß, die sich wegen Protestaktionen gegen den Vietnam-Krieg, gegen das Verlagshaus Axel Springer und den Schah von Persien strafbar gemacht hatten, natürlich auch gleich gegen die Polizisten, die wegen Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit den politischen Protesten straffällig geworden waren. Heinemann als Bundespräsident hat das Gesetz nur unterzeichnet. Sicherlich war er nicht dagegen, aber es war nicht so, daß er einige Tage nach Schütts Verurteilung alle Urteile aufhob.
Wenn Peter Schütt nun von dem Protest, dem Gesang und der „Festnahme barbusiger Genossinnen“ spricht, so muß ihn sein Gedächtnis vollends verlassen haben. Vielleicht hat er sich so seinen Prozeß vorgestellt. Ich vermute, er verwechselt seinen Prozeß mit einem anderen, dem sogenannten Busenprozeß. Ich kenne ihn ebenso, da ich auch dort Verteidiger war. Die Polizisten nahmen die Frauen fest, hilflos und brutal, aber niemand wurde gefesselt. Sie vergaßen sogar, die Personalien festzustellen. Die Prozeß hat weder mit Wissmann noch mit Peter Schütt etwas zu tun.
Ich finde es schön, daß Peter Schütt an die Aktionen gegen das Wissmann-Denkmal erinnert. Schade, daß er nur erinnert, was ihm lieb ist und auf diese Weise einem romantisierenden Mythos von Heldenhaftigkeit dient.
Kurt Groenewold
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen