piwik no script img

Kaufen macht so viel Spaß

■ Wo die Ware noch Ware ist: Kaum Chrom, wenig Glas, kein Erlebnis in der Einkaufsstadt

Die Einkaufsstadt ist die Freizeitanlage des modernen Menschen. Denn: „Shopping gehört zu den beliebtesten Freizeittätigkeiten“, behaupten Freizeitforscher. Der moderne Mensch fährt zum Einkaufen auf die Grüne Wiese, wo er sein Auto mit dem großen Kofferraum parken kann. Dort will er kaufen und erleben. „Einkaufen ist: Bummeln, Sehen und Gesehen Werden“, erläutert Peter Werth von der Deutschen Gesellschaft für Freizeit. Die Kaufhausarchitekten suchen solche Bedürfnisse durch behaviour settings zu befriedigen: „räumliche Arrangements, die zum Verweilen einladen“.

Bei dodenhof, dem „größten Einkaufszentrum Norddeutschlands“, ist alles anders. Kaum ein gläsernes, chromblitzendes behaviour setting hät die Kunden vom Einkaufen ab. Hier ist die Ware noch Ware und das Kaufhaus noch Kaufhaus. Weiträumig läuft die Kundin über grüne Teppiche in dezentem Siebziger-Jahre-Muster, die Wände sind von unbeschreiblichem Kaufhaus- beige. Der Blick gleitet suchend durch den Raum und fällt auf hunderte von Sesseln, tausende von Lampen, meterweise Jacken, stapelweise Klopapier. Wo anfangen? Wo zugreifen?

Um 4.000 Parkplätze herum gruppieren sich langgestreckte Betonbauten zur „Einkaufs

Erlebnis Einkauf. Und was machen Sie in ihrer Freizeit?Jörg Oberheide

stadt“. Die Fassaden sind grau und schmucklos, nur gelegentlich unterbrochen durch gläserne Nischen, in denen die Dekorationsabteilung vorführt, was es hier zu holen gibt. Schaufenster sind Nebensache, man zeigt nicht, was man hat. Optische Reize hält Geschäftsführer Wilfried Siebenmorgen für überflüssig, denn bei dodenhofs gibt es „keine natürliche Frequenz außerhalb der Ein

kaufszeiten“. Zu deutsch: In die Einkaufsstadt geht man nicht zum Bummeln und Schauen, man kommt zum Einkaufen. Nach Fei- erabend sind 60 Putzfrauen zwei Stunden lang damit beschäftigt, die Spuren des Tages zu beseitigen. Dann herrscht auf dem Gelände Totenstille.

Geschäftsführer Siebenmorgen kennt seine KundInnen: „Wer zu uns kommt, hat sich entschieden. Die Kunden haben hier eine viel höhere Verweildauer als in anderen Geschäften. Es muß sich ja auch lohnen, hierher zu fahren.“ Das „Erlebnis“ ist in dieser Firmensphilosophie überflüssig: „Wenn Sie damit diese großen Springbrunnen meinen, die gibt es bei uns nicht.“ Direkt an den Parkplatz schließt sich dodenhofs „Freizeitanlage“ an: ein Rasenstück, nicht halb so groß wie der Supermarkt, mit Bänken, Rosenbüschen und kleinem Springbrünnlein. In solcher Umgebung wirken der glasüberdachte Gang zwischen Camping Center und Einrichtungshaus und ein gläserner Aufzug unter Glas- Kuppeldach deplaziert: hilflose Zugeständnisse an die neuesten Trends der Kaufhausarchitektur.

„Das Einkaufserlebnis ist bei uns der Service,“ sagt Geschäftsführer Wilfried Siebenmorgen. Und das „breite, tief gestaffelte Sortiment“. Von den „SB- Märkten auf der grünen Wiese“ möchte dodenhof sich absetzen. In der "Einkaufsstadt" werden die Verkäuferinnen geschult, dem Kunden „durch Blickkontakt zu signalisieren, daß sie für ihn da sind“.

Mit einem kleinen „Stubenladen“ hat Großvater Dodenhof

1910 das Einkaufsimperium begründet. 1975 weihten die Enkel das erste Gebäude des Einkaufszentrums mit 1.000 Quadratmeter Einkaufsfläche ein. Heute ist die Fläche 60-mal so groß. Gut die Hälfte davon nimmt das Einrichtungszentrum ein: Hunderte von Wohn- und Schlaf-und Kinderzimmern sind hier „milieugerecht“ aufgebaut und simulieren Schöner Wohnen. Vier Putzfrauen sind Tag für Tag damit beschäftigt, Spülen und chromblitzende Herde zu polieren. Kein Stäubchen soll die unbehausten Zimmer verunzieren.

In der zweiten Etage des Einrichtungshauses konzentriert sich das Leben: Ein Dutzend Männer und Frauen hinter langen Schreibtischen telefonieren, führen Verkaufsgespräche, sichten Kataloge und füllen Bestellzettel aus. An einem kleinen Küchentisch sitzt ein Herr und zeichnet Kreise und Linien auf Kästchenpapier: Er — „ich bin ein bißchen mehr als ein Innenarchitekt — richtet den Kunden nach Wunsch die Küche ein — ganz individuell. Seit dreißig Jahren, und „es macht immer noch Spaß.“

Am meisten erleben hier die Kinder: Ein Junge und ein Mädchen turnen auf Etagenbetten und spielen hinter Sofas Verstecken. Ganz dodenhof ein riesiger Spielplatz? Kanalisiert wird die kindliche Energie im Kinderhort, an den zwei große Rutschen, Schaukeln, und ein Streichelzoo angeschlossen sind. Eine Sozialpädagogin und zwei Helferinnen betreuen die Kleinen, während die Eltern ihre Geburtstagsgeschenke aussuchen, und halten sie mit Eisenbahnen, Puppen und Videos bei Laune. „Für das Einkaufszentrum ist der Hort eine gute Investition“, meint Leiterin Helga Baum: „Viele Kinder bringen ihre Eltern mit - außerdem sind sie die Kunden von morgen.“ Umso furchterregender, womit eine Mutter ihrem quengelnden Sprößling droht: „Wenn du nicht sofort aufhörst, warst du heute zum letzten Mal hier.“ Diemut Roether

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen