: Milanisti — aus Liebe zum Macho
Italiens Sportvereine appellieren an die Männer, ihre Frauen, Omas, und Schwestern mit ins Stadion zu bringen. Schließlich könne man mit ihnen die Ränge füllen und Randale verhindern ■ Aus Rom Werner Raith
„Pappi“, fragt unsere Jessica, 10, beim Essen, „was sind wir eigentlich?“ Naja, Journalisten die Eltern... „Nein, ich meine so, wer wir sind?“ Ach so? Also geboren in Deutschland... Auch wieder nicht: „Nein, ich meine: für wen wir sind? Sind wir Milanisti, Juventini, Interisti, Romanisti? Giallorossi, Biancazzurri, Rossoneri?“
Du lieber Himmel, nun ist sie da, die Gretchenfrage Italiens schlechthin: Sage mir, für welchen Fußballclub du brüllst, und ich sage dir, wer du bist... Wir wußten, daß sie irgendwann einmal auf uns zukommen würde, denn ohne erklärte Sympathie für einen der großen Clubs im Lande ist der Mensch südlich des Brenner nichts, absolut nichts. Doch wir hofften noch auf etwas Zeit, zumal sich unsere drei Töchter noch nie für Fußball interessiert haben und die Frauen Italiens gemeinhin erst durch ihren ersten „fidanzato“, den Verlobten, zur „tifosa“, der Fan-Frau werden. Dann allerdings muß ihr stimmbandzehrender und tränenspendender Einsatz noch über den des Künftigen hinausgehen. Doch Jessicas Frage stand nun im Raume, sie war zu entscheiden.
Dabei ist die Lage komplizierter, als es treudeutsche Vereinsdenkerei annehmen möchte. Es reicht nicht, für irgendeinen Club zu sein, also für Roma oder Lazio, Inter oder AC Mailand, Sampdoria Genua oder Bari oder sich einfach zu den Vereinsfarben Gelbrot, Blauweiß oder Schwarzrot zu bekennen: jeden Spieltag teilt sich die Nation in zwei mächtige, einander in unbeugsamer Feindschaft gegenüberstehende Lager: die Juventini und die anderen.
Zum eigenen Verein, dessen Wimpel oder Fahne man tunlichst bei Großereignissen aufs Hausdach pflanzt oder zumindest ins Fenster hängt, gehört noch die explizite Stellungnahme zum „Club“ schlechthin, Juventus Turin.
Man zittert also nicht nur für den eigenen Verein, sondern muß auch noch die Partie im Auge behalten, in der Juventus spielt — um für oder gegen sie zu sein. Eine Tradition, die währt, seit der Großvater des Fiat- Chefs Agnelli sich eine eigene Mannschaft zulegte. Eine für treudeutsche Verhältnisse fast unlösbare Konstellation, gleichzeitig für zwei Clubs zu sein, noch dazu, wo die Konstellation jeden Sonntag aufs neue wechselt.
Jessica beharrt, und als wir uns um die Antwort herumdrücken wollen, gerät sie ins Weinen: vor niemandem, nie-man-dem können sie sich mehr sehen lassen, alle Mädchen hätten von ihrer Familie her eine Mannschaft, nur sie, sie nicht.
Italiens Tifoserie pocht mittlerweile schon auf die ganz, ganz jungen weiblichen Wesen. Der Rückgang der Spiel-Besucher, aber auch die zunehmende Gewalttätigkeit vor den Stadien hat die Mächtigen der großen Sportarten zu einer massiven Werbekampagne angestachelt, die offenbar Erfolg hat: Jeder Tifoso solle doch mindestens zehnmal im Jahr die eigene Gemahlin, Freundin oder auch Oma mitbringen, und selbstverständlich auch den weiblichen Nachwuchs.
Mit vornehmer Ignoranz wurde dabei ein Element übergangen, das sich dem Normalbetrachter von selbst angeboten hätte: die Zuschaueraktivierung beim Sport der Frauen. Da nämlich hapert es kräftig. Im Grunde erinnern sich Italiens Sportfans an ihre Frauen nur, wenn es irgendwo etwas zu füllen gilt — das Bierglas beim Zuschauen, die Lücken im Publikum oder lange Durststrecken bei internationalen Wettbewerben.
So brachten die Medien bei der Vorschau auf die vergangenen Olympischen Winterspiele wochenlang seitenlange Medaillenprognosen — darin waren alle männlichen Teilnehmer von Alberto Tomba bis zu den immer hinterhersegelnden Skispringern aufgelistet, bei den Frauen reichte es allenfalls für ein „Und dann könnten auch noch zwei oder drei unserer Frauen einen Platz auf dem Podium erklimmen“ (Corriere).
Als dann zu Anfang nicht alles so lief und der erste Medaillensegen just durch die Langlauf-Frauen zustandekam, waren sie natürlich höchst willkommen — genau so lange, bis Tomba doch noch Gold ergattert hatte. „Tomba ist in die Legende eingegangen“, schrieben gleich drei große Tageszeitungen unisono — von den Frauen, die ebensoviele Ränge ergattert hatten, sprach niemand mehr.
In der Fernsehsendung „L' Istruttoria“ gingen Frauen einmal der Frage nach, warum das alles so ist. Den einen schien es, als würden in Italien im Sport sowieso nur Sportarten gehätschelt, die gemeinhin dem Maskulinen zugeordnet würden. Den anderen ist Sport schon als solcher ein typisches Männerprodukt — ausgerichtet auf Konkurrenz, eine spielerische Variante des Platzhirsch-Kampfes und so im machistischen Italien natürlich ein besonderes Zuckerl für die Pappagalli.
Dann kam eine Hausfrau aus Neapel dran. Sie sagte schlicht und einfach: „Also wißt ihr, wir sind sehr froh, daß wir jetzt auch zur Tifoserie zugelassen sind und lernen, wann man wie brüllen muß. Vorher haben wir das immer falsch gemacht, und da setzte es oft Hiebe.“
Wir werden uns, unserer Jessica, ihrer künftigen leiblichen Unversehrtheit zuliebe, doch irgendwann mit einem der Vereine anfreunden und unsere Stellung zu Juve definieren müssen.
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