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■ BuchtipAufsteigerInnen / Rola Hahn: "Hier läuft ja nichts ohne Abschluß" - Erfahrungenvon Mädchen und jungen Frauen aus der Türkei in der Berufsausbildung

Rüya wollte schon während der Schulzeit Ärztin werden. Die junge Berlinerin aus der Türkei hat aber nur einen erweiterten Hauptschulabschluß. Damit bleibt ein Medizinstudium nur ein ferner Traum. Trotzdem hat sich Rüya von ihrem Berufsziel nicht abbringen lassen, eine Lehrstelle gesucht und Arzthelferin gelernt.

Rola Hahn beshäftigt sich in der Studie „Hier läuft ja nichts ohne Abschluß!“ mit der Ausbildungssituation türkischer Mädchen und junger Frauen. Rüyas Werdegang ist kein Einzelfall: Türkische Mädchen machen in der Regel eine Ausbildung in einem sozial niedrig angesehenen Beruf. In erster Linie gehören dazu Friseusen und Arzthelferinnen, die besonders schlecht bezahlt werden und dazu noch miserable Arbeitsbedingungen haben.

Vor diesem Hintergrund wird oft die Leistung der Mädchen und jungen Frauen, vor allem ihr harter Kampf, überhaupt eine Lehrstelle in einer ausländerfeindlichen Atmosphäre zu finden, übersehen oder abgewertet. Unter Immigranten sind sie meist diejenigen, deren Anliegen kaum wahrgenommen werden. Das ist wohl auch der Grund, daß viele Deutsche gar nicht merken, wie sie einerseits das angebliche Schattendasein türkischer Mädchen beklagen, aber andererseits sie genau in dieses Klischee hineinzudrängen versuchen. Eine der 18 Frauen, die Hahn für ihre Studie befragte, schildert, wie sie drei Jahre lang verbissen um einen Ausbildungsplatz als Bankkauffrau gekämpft hat — die Mitarbeiterin beim Arbeitsamt sie jedoch vehement für einen Job als Verkäuferin in einer Bäckerei überzeugen wollte.

Die sehr unterschiedlichen Lebensläufe und -ziele der jungen türkischen Frauen, mit denen die Pädagogin Rola Hahn selbst jahrzehntelang gearbeitet hat, zeigen, daß es die Türkin nicht gibt, wohl aber das Vorurteil ihnen gegenüber. Schuld an ihrer schlechten Ausbildungssituation sei nicht, wie viele meinen, die sie diskriminierende Gesellschaft, sondern die türkischen Eltern. Diese täten alles, um zu verhindern, daß ihre Tochter durch hochfahrende Berufsziele die vorgesehene Rolle als Mutter und Ehefrau abstreifen könnte.

Um so beeindruckender sind in der Studie Schilderungen über die ideelle und finanzielle Unterstützung der Eltern, vor allem der Mütter. Werden die familiären Ausgangsbedingungen berücksichtigt, haben es die Töchter durchaus weit gebracht: Während die Eltern zum Teil noch als Analphabeten nach Deutschland gekommen sind, um in Fabriken zu arbeiten, haben die Töchter aus eigener Kraft den Schritt auf eine sozial höhere Stufe geschafft. sev/e.k.

Rola Hahn: „Hier läuft ja nichts ohne Abschluß!“ — Erfahrungen von Mädchen und jungen Frauen aus der Türkei in der Berufsausbildung, Förderkreis Ausländischer Kinder und Jugendlicher (Hrsg.), Verlag für Wissenschaft und Bildung, Berlin 1991.

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