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Fenster zum Hof verschlossen

■ Eine Idee, aber kein Stück: Theater in zwei Seitenflügeln in der Schumannstraße

Theater findet längst nicht mehr nur im Theater statt; Off-Theater auch nicht mehr nur im Off- Theater, das heißt in Räumen, die von freien Gruppen gemietet werden. Es gibt immer weniger Räume dafür, oder sie sind so teuer, daß Gruppen, die neu anfangen zu arbeiten, die Mieten einfach nicht bezahlen können. Diese Misere hat aber auch etwas Produktives, wie Notsituationen das oft mit sich bringen. Wer gezwungen ist, nach Ausweichquartieren zu suchen, findet oft auch neue Formen für die Kunst.

Ein Beispiel dafür ist Andreas Harnach, der jetzt in Berlin-Mitte sein Projekt »Schumann 17« zur Diskussion stellt. Harnach ist von Haus aus Architekt und hat bei verschiedenen Gruppen als Bühnenbildner gearbeitet. Er ist jemand, der in Räumen und Bildern denkt und für den das Verhältnis von Mensch und Raum wesentlich ist. Im Theater heißt das, daß Spielhandlungen über extreme räumliche Situationen geschaffen und die Zuschauer direkt in die Handlung mit einbezogen werden.

Vor etwa zwei Jahren hatte Harnach die Idee, in zwei gegenüberliegenden Häusern Theater zu spielen. Er wollte die Neugier ausnutzen, die wir alle spüren, wenn wir abends durch dunkle Straßen gehen und für Sekunden in erleuchtete Fenster schauen; eine kurze Zeit am Leben anderer teilhaben, die wir nicht kennen und wahrscheinlich auch nicht kennenlernen werden. Nach monatelangem Suchen war ein leerstehendes Haus mit zwei Seitenflügeln gefunden, das der Besitzer für drei Monate zur Verfügung stellte. Was dann folgte, war der übliche, langwierig bürokratische Weg, um die nötigen Genehmigungen einzuholen und Geld zu beschaffen. Das Kulturamt Mitte unterstützte das Projekt mit 10.000 Mark — eine Summe, von der man die nötigsten Dinge für das Bühnenbild bestreiten kann, aber auch nichts darüber hinaus. Alles andere entstand aus eigenen Mitteln; die fünf Schauspieler probierten sechs Wochen ohne Gage und verdienen bei den Aufführungen nur das, was an Eintrittsgeldern eingenommen wird. Am Montag abend, als ich die Aufführung sah, waren es acht Zuschauer.

Eine Stunde vor Beginn bin ich mit Andreas Harnach verabredet. Das Haus in der Schumannstraße ist verrammelt, nur eine Postkarte in denselben Farben wie der runtergekommene Verputz deutet darauf hin, daß hier Theater stattfinden soll. Mit mir zusammen wartet eine junge Frau; wie sich herausstellt, eine Schauspielerin. Die Gegend ist wie ausgestorben, auch in den umliegenden Häusern scheint niemand mehr zu wohnen. Es ist ausgesprochen unheimlich und wird noch unheimlicher, als plötzlich mit lautem Getöse ein Riegel zur Seite geschoben wird und sich wie von Geisterhand das Tor öffnet. Natürlich hat alles unverdächtige Ursachen. Ein Kollege hat einfach aufgemacht. Inzwischen haben sich auch die anderen Mitspieler und Mitspielerinnen eingefunden. Gemeinsam betreten wir den Hof, der in diesem Halbdunkel schaurig-faszinierend anmutet. Während ich auf den Leiter der Gruppe warte, richten sich die Mitwirkenden ihre Bühnen ein, und diese Viertelstunde war spannender als das ganze Theater, das ich später sah. Leider ist bei diesem Teil des Abends der Eintritt für das Publikum normalerweise verboten.

Im linken Seitenflügel sind vier Räume als Spielorte hergerichtet. Vom gegenüberliegenden Haus können wir aus dem ersten und zweiten Stock in die Fenster schauen, von Raum zu Raum gehen und den Ausschnitt, den wir sehen wollen, immer wieder selbst verändern. Das Stück, das während der Proben entstanden ist, erzählt von den Bewohnern und Bewohnerinnen des Hauses, die durch Zwang von außen (über Lautsprecher werden bürgerkriegsähnliche Kämpfe gemeldet und eine Ausgangssperre verhängt) daran gehindert werden, das Haus zu verlassen. Unten links wacht einer über die anderen wie ein Blockwart, verschließt das Hoftor und legt eine schwere Eisenstange vor. Auch wir können das Gebäude also nicht verlassen.

So weit, so gut, die Idee ist faszinierend — wenn da nicht dieses unsägliche selbstgeschriebene Stück wäre, dessen Text ungestisch dahinstolpert. Die Figuren und ihre Beziehungen zueinander sind nicht klar herausgearbeitet, eine Unverständlichkeit jagt die andere. Schauspieler und Schauspielerinnen bewegen sich in ihren Wohnungen eben wie im normalen Leben, was dem Ganzen fehlt, ist eine Form, die alles zusammenhält. Die heruntergekommene Nachtklubsängerin, die ansonsten nur säuft und Kleider anprobiert, spielt am offenen Fenster eine Onanierarie, die zum ekligsten gehört, was ich je im Theater gesehen habe. Am Ende passiert dann noch ein Mord, dessen Motiv völlig unverständlich bleibt. Die Truppe hat wohl auf die Lebensnähe der Situation gesetzt — was herauskommt, ist langweiligster Naturalismus. Sibylle Burkert

Schumann 17, zu sehen heute und wieder ab 31.08. täglich außer dienstags, 21.30 Uhr, Schumannstraße 17

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