"Warum behandelt man uns so?"

■ Zehntausend Hamburger versammelten sich zur Trauerfeier vor der Moschee in Hamm und am Rathaus / "Heuchler"-Rufe für Blüm und Kinkel

„Noch nie waren sich unsere Völker so nah wie heute.“ Mit großem Beifall bedachten die türkischen und deutschen HamburgerInnen gestern diese Mahnung und Hoffnung eines türkischen Redners auf dem Rathausmarkt. Mehrere zehntausend Menschen zeigten gestern in Hamburg anläßlich der Trauerfeier für die drei türkischen Mordopfer von Mölln in zahlreichen Aktionen Bestürzung, Solidarität, aber auch Wut.

Bereits um zwölf Uhr hatten sich zehntausend Menschen vor der El-Aksa Moschee in Hamm versammelt, um der Trauerfeier für die 51jährige Frau und die 14- und 10jährigen Mädchen beizuwohnen. Sie verbrannten Sonntag nacht nach einem Anschlag rechter Extremisten in ihrem Möllner Haus (siehe dazu auch S.1 und 3). Zu den Feierlichkeiten waren neben Hamburger PolitikerInnen auch Bundesaußenminister Klaus Kinkel, Bundesarbeitsminister Norbert Blüm und eine Delegation türkischer Parlamentarier unter der Leitung des stellvertretenden Parlamentspräsidenten Yildirim Avci angereist. Viele türkische und deutsche SchülerInnen waren der Schule fern geblieben, um ihr Beileid auszudrücken. Auch zahlreiche türkische Geschäftsleute hatten in der Hansestadt ihre Läden aus Trauer und Protest geschlossen.

Im Anschluß an die Feier zogen Tausende hinter den drei Särgen, die noch am Abend zur Beisetzung in die Türkei geflogen wurden, zu einer Kundgebung auf dem Rathausmarkt. Auch dort hatten sich schon zur Mittagszeit Tausende, vor allem junge Menschen, versammelt. Wie überall in der Stadt auch hier die Mahnung „Stoppt den Rassismus“.

Doch in der Innenstadt war die Atmospäre gespannt. Klaus Kinkel und Norbert Blüm wurden mit lauten „Heuchler, Heuchler“-Rufen von den deutschen KundgebungsteilnehmerInnen empfangen. Der Außenminister konnte seine Ansprache erst nach einem langanhaltende Pfeifkonzert beginnnen, wurde sogar mit einem Ei beworfen. „Von diesen Land darf nie wieder Fremdenhaß ausgehen,“ appellierte Kinkel. An die ausländischen MitbürgerInnen gewendet, betonte er: „Sie sind hier willkommen, wir wollen Sie achten und friedlich mit Ihnen zusammenleben.“

Dies hatten auch mehrere türkische RednerInnen aus dem 1,5 Kilometer langen Trauerzug in die Innenstadt gefordert: „In den letzten 30 Jahren haben wir hier mit unserem Fleiß und unseren Steuern den deutschen Wohlstand mitaufgebaut. Warum läßt man es jetzt zu, daß wir so behandelt werden?“ Die überwiegend türkischen DemonstrantInnen bedachten diese Redebeiträge mit heftigem Applaus.

Der türkische Vize-Parlamentspräsident Avci erinnerte daran, daß „ähnliche Schandtaten wie die jüngsten Vorfälle in Deutschland zum 2.Weltkrieg geführt haben“. Die deutsche Bundesregierung solle jetzt auf die Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land dasselbe Augenmerk richten wie auf die „angeblichen Verstöße“ in der Türkei, forderte er: „Wir erwarten, daß die deutsche Regierung den Rassismus aktiv bekämpft.“ Sannah Koch