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AK-Ochsenzoll will Ueckermünde helfen

■ Patienten vom Haus 18 sammeln für Psychiatrie-Patienten in Mecklenburg-Vorpommern / "Dagegen geht es uns ja gut"

in Mecklenburg-Vorpommern / »Dagegen geht es uns ja gut«

Die Fernsehsendung am vergangenen Donnerstag abend hatten fast alle Patienten im Haus 18 gesehen. Der ARD-Film „Die Hölle von Ueckermünde“ dokumentierte die Zustände einer psychiatrischen Großklinik in der Ex-DDR, drei Jahre nach der Wende, 500 Kilometer von Hamburg entfernt zwar, aber immer noch in ein und demselben Land. Menschen, zusammengepfercht in großen Sälen, ohne abgetrennte Sanitäranlagen, ohne den geringsten Intimbereich, viele verkrüppelt von jahrelanger Fixierung. Und viele — und das hat die Ochsenzoller Patienten am meisten bedrückt — ohne einen einzigen Gegenstand, die ihnen gehört.

„Zwei Patienten sind danach spontan zu mir gekommen und haben gefragt, ob sie eine Spendenaktion machen dürfen“, berichtet Hausleiterin Kristina Erichsen- Kruse. Die 64 Bewohner von Haus 18, die geschlossene Abteilung der gerichtlichen Psychiatrie, haben selbst nicht viel mehr als 200 Mark Taschengeld. „Aber verglichen mit denen sind unsere Probleme lächerlich“, sagt Dieter Blank, der zusammen mit seinem Mitpatienten Giovanni Steffen die Sammelaktion organisiert. Bettwäsche, Waschlappen, Spiele, Poster, Malstifte, Radios, Walkmen, Plüschtiere sowie Herren- und Damenbekleidung wurden gestiftet. Alles Sachen, von denen sich die Ochsenzoller Patienten vorstellen, daß sie die Ueckermünder gerne hätten.

„Ich hab den Patienten versprochen, daß ich selber hinfahre und mir das angucke“, sagt Erichsen- Kruse. Sie selber dürfen ja nicht raus. „Sie“, das sind laut Bild vom 7. April die „60 gefährlichsten Geisteskranken Hamburgs“, Patienten des Maßregelvollzugs, von denen die Öffentlichkeit gemeinhin nicht viel hält. Blank: „Es geht uns darum, denen zu helfen. Es geht uns aber auch darum, darzustellen, daß wir hier drinnen Menschen sind wie andere auch und keine Tiere.“ Menschen, die — wenn auch unter räumlich großzügigeren Bedingungen — selbst eingesperrt auf ungewisse Zeit und mürbe vom Langzeitaufenthalt nachvollziehen können, wie es den Patienten in Ueckermünde geht.

Heute früh, neun Tage nach der TV-Sendung, sind Hausleiterin Erichsen-Kruse und vier Pflegekräfte losgefahren, um die erste Fuhre zu überbringen. Nein, Kontakt habe sie noch nicht aufgenommen, die Ueckermünder Klinik wurde schriftlich informiert. „Ich will mich vor Ort kundig machen, wie die rechtliche Situation der Menschen aussieht.“ Für die Pflegeleiterin ist klar: Jeder Psychiatrie-Patient hat das Recht auf einen Anwalt, das Recht auf die jährliche Überprüfung des Aufenthalts, auf regelmäßige Besuche von Verwandten und vor allem auf Taschengeld nach BSHG. Letzteres war nach den TV-Bildern zu urteilen nicht gewährleistet. Erichsen-Kruse: „Die haben zum Teil Steinchen mit ins Bett genommen, nur damit sie irgend etwas haben.“

Als arrogante Wessis will das Ochsenzoller Pflegerteam nicht auftreten. Da die Oberschwester der Ueckermünder Klinik im Film ausdrücklich um Hilfe gebeten hat, sind sie bereit, ihr Know-how anzubieten. Erichsen-Kruse: „Die bräuchten Ergotherapeuten und Logopäden, die sich mit den Menschen beschäftigen und gucken, was da überhaupt noch da ist.“

1Die Spendenaktion soll weiterlaufen, Ende Mai ein zweiter Transport losgehen. Dieter Blank hat 80 Firmen um Sachspenden gebeten. Aber auch Privatpersonen sind auf-

1gefordert zu helfen. Die Sachen können ans Haus 18, AK-Ochsenzoll, Langenhorner Chaussee 560, geschickt oder dort beim Pförtner abgegeben werden. Kaija Kutter

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