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Niedergang im Stillstand, meinte Hermann Broch mit Blick auf das Wien der Jahrhundertwende, führt zum Museum. Ein Museum neuen Typs will Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf in Chemnitz, gewesenes Karl-Marx-Stadt, für die Expressionisten- Sammlung von Lothar-Günther Buchheim errichten: ein „Museum der Phantasie“. (Sollte die nicht mal an die Macht?) So ein Museum könnte womöglich eine ganz hervorragende Einrichtung sein, wenn man sie nicht den Buchheimschen Kuriosa vorbehalten wollte. Drängt nicht das ganze Deutschland der Verwahrlosung (wir berichteten) geradezu danach, in den Kammern eines Hypermuseums dauerhafte Rast und Ruhe zu finden? Die Anforderungen der symbolischen Politik in allen Ehren – aber es wird uns ein ganz kleines bißchen unheimlich, wenn die Politik sich ganz und gar aufs Symbolische kapriziert. Und hierzulande, in diesem gigantischen Museum der Phantasie, pflegt man nun schon seit geraumer Zeit – von Bitburg bis zum Ehrenmal – politische Debatten im Kulturellen auszutragen, als Denkmalstreit.
Es kann kein Zufall sein, daß der Bundespräsident, eine Art Oberkurator des Museums der Phantasie, vor allem bei Eröffnungen und Einweihungen eine gute Figur macht. In Erwartung eines tadellosen Auftritts (am 6.Mai) im neuen Lübecker Thomas-und- Heinrich-Mann-Museum (es wird sich dem ungemein vernachlässigten Kult der „Thomas-und-Heinrich- Mann-Pflege“ widmen) laufen die Ticker schon jetzt in einem anderen Rhythmus – feierlich, fast gravitätisch: „Bundespräsident Richard von Weizsäcker wird der erste offizielle Besucher sein, der durch die neuen Räume schreitet. Eine alte Idee ist damit Wirklichkeit geworden.“
Indessen bringt eine Meldung von der soeben eröffneten Kunstmesse Art Frankfurt neuen Wind in die ziemlich laue Debatte um Weizsäckers Nachfolge. Es zeichnet sich da eine Lösung ab, die die ziemlich fruchtlosen Bemühungen, Ignatz Bubis, Regine Hildebrandt oder Jürgen Habermas zu gewinnen, obsolet erscheinen läßt – die gute alte Erbfolge: Die Wiesbadener Galerie am Luxemburgplatz zeigt, wie wir erfuhren, „den Sohn des Bundespräsidenten, Andreas von Weizsäcker, der aus Papier dreidimensionale Objekte formt.“
Ein wahres Schmuckstück im gesamtdeutschen Hypermuseum der Phantasie will die bislang noch reichlich verwahrloste Stadt Potsdam zum 1.000jährigen Jubiläum werden. Der holländische Künstler Theo van Delft plant, Goldfische „in einem speziellen Behältnis“ über den Haustüren anzubringen. Das Projekt soll „eine Metapher für das Fließende, den Austausch, das Miteinander“ sein. Fröhlichen Kirchentag, allerseits! Und eine Warnung an die Autofahrer: „Vom 31.Juli bis zum 24.August wird um die Nikolaikirche eine neue Sinnlichkeit entstehen.“
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