Zwischen den Rillen: Schwierige Ehrung
■ Hal Willners jüngste Multi-Artist-Kompilation: „Meditations on Mingus“
Der amerikanische Musikproduzent und -koordinator bei Film und Fernsehen Hal Willner leistet sich eine wenig einträgliche, dabei aber höchst arbeitsintensive Leidenschaft: Seit zwölf Jahren tut er sich als Mentor und Produzent klassischer Film-, Theater- und Jazzmusik hervor. Ob zur Musik des Fellini-Filmkomponisten Nino Rota, zu Thelonius Monk und Kurt Weill oder Disney-Film-Melodien – Willner verstand es jedes Mal mit Erfolg, Bands aus den unterschiedlichsten Lagern für eine Interpretation des Komponisten seiner Wahl zu gewinnen.
Seine fünfte Multi-Artist- Kompilation ist dem Jazz von Charles Mingus gewidmet. Willner nennt ihn maßgeblich für seinen Musikgeschmack, er hatte das Glück, einige Auftritte des exzentrischen Bassisten live zu erleben. Doch anders als Monk, dem Willners zweite Ehrung galt, erweist sich Mingus als „schwieriges Thema“. „Monks Kompositionen sind traditioneller strukturiert und öffnen sich daher mehr der Interpretation als die von Mingus“, bemerkt Willner im Beiheft und verändert zugleich sein bisheriges „Various Bands“- Konzept, indem er eine „Dream- Houseband“ engagiert und darüber hinaus Gastsolisten einlädt.
Zum Kern gehören der Gitarrist Bill Frisell, bisher bei allen Willner-Tributes beteiligt, der Ellington-Veteran und Posaunist der „Mingus Dynasty Band“ Art Baron, der Percussion-Altmeister Don Alias, der Costello-Perkussionist Michael Blair sowie Greg Cohen und Francis Thumm, die beide eine maßgebende Rolle beim Tom-Waits-Klassiker „Swordfishtrombone“ spielten – der erste als Bassist, letzterer als Arrangeur. Thumm wiederum gehörte zum Harry-Partch-Ensemble und bringt dessen selbstgebautes Instrumentarium mit ein: zumeist gigantisches Gerät, das von verschieden lang abgeschnittenen riesigen Wasserflaschen über Teile eines Flugzeugtanks bis hin zu (vom Podest aus geschlagenen) Baß-Marimbas reicht.
Die durchgängige Verwendung dieser Utensilien beschränkt den Gesamt-Sound teils erheblich. Beim Titelstück „Weird Nightmare“ können selbst Gastsänger Elvis Costello und Henry Threadgill mit der Flöte der Baßlastigkeit nichts entgegensetzen, und es gelingt überhaupt nicht, den spukartigen Charakter des Originals auch nur ansatzweise zu treffen.
Die generelle Abwesenheit eines Saxophons – integraler Bestandteil der Instrumentierung durch Mingus – und die begrenzte solistische Verwendung des Basses werden geradezu schmerzlich spürbar bei einem Titel wie „Jump Monk“, der im Arrangement von Greg Cohen auf ein perkussives Powerplay reduziert wird. „Pithecanthropus Erectus“, bei Mingus eine vierteilige Suite, im Entstehungsjahr 1956 wegweisend für die sich später durchsetzende modale Organisation des kollektiven Improvisierens, wird bei Willner zu einem Stück Rhythm'n'Blues-orientiertem Rock, der bloß dem Lou-Reed- Gitarristen Robert Quine und Bill Frisell das freie Spiel eröffnet. Ganz unverhofft legen deren schroffe Soli, die sich über den Rand der Funktionsharmonik hinausbegeben, dann schließlich doch noch etwas von den Mingusschen Absichten frei.
Auch der „Work Song“, im Original Soul Jazz mit hohen Improvisationsanteilen der traditionellen Rhythmusinstrumente Piano, Bass, Schlagzeug, wird von einem Gast, nämlich Vernon Reid, dem Shannon-Jackson- und Living-Colour-Gitarristen, tatsächlich als Emanzipationsmodell des Rhythmus verstanden. Sein Arrangement, sein eigenes splitterndes Free-Form-Solo zum Schluß und die sperrigen Kadenzen der Monk-Adeptin Geri Allen am Piano, strahlen die ausgelassene rhythmische Freiheit aus, die Mingus häufig mit seinen Workshop-Bands erreichte.
Was auch immer Willner den Kompositionen von Mingus schuldig geblieben sein mag, dem Dichter widmet er breiten Raum. Bisher unveröffentlichte Teile der Mingus-Autobiographie „Beneath The Underdog“ werden von Henry Rollins gesprochen oder von Public Enemys Chuck D gerappt. Rollins, Underground Hero seit den Tagen von Black Flag, trifft in „Groovy“ den arroganten Ton genau, in dem Mingus messerscharf die Grenze zieht zwischen denen, die „hip“ sind, und denen, die an diesem Etikett bloß verdienen wollen. Chuck D berichtet druckvoll von einem Musiker, der zwar, wenn's brennt, mit seinem Baß (!) ein Loch in die Wand bricht, aber niemals eine Frau schlagen würde („The Fire At The Coconut Grove“).
Willners große Stärke ist eben die Rollenbesetzung. Ob Robbie Robertson die Fiktion „Playing Chess With Bobby Fischer“ ersingt, ob Hubert Selby Jr. sich andächtig zu einem „Loving Life to Grow“ bekennt, ob Leonhard Cohen die dunkle Seite des Gedichts „Chill Of Death“ herausstellt oder ob Dr. John zwischen Blues und Gospel „Freedom“ beschwört – das alles erweitert den engen Rahmen des Houseband- Konzepts.
Fazit: Im Unterschied zu allen bisherigen Willner-Tributes sind bei „Weird Nightmare“ zu viele Rollen konstant besetzt. Willner selbst schlüpft erstmalig aus der Rolle des Mentoren in die des Musikers, bedient Sampling- und Effektgeräte. Zu wenige Gastbands sind eingeladen. So ist es mehr als erfrischend, wenn Bobby Previte und Bob Stewart mit eigener Band den „Open Letter To Duke“ formulieren.
Auch die Provinienz der Prominenz ist für eine Mingus-Interpretation zu einseitig die Rockmusik, und das wird nicht erst bei den eher marginalen Beiträgen von Keith Richards oder Charlie Watts klar. Threadgill und Geri Allen, noch dazu „nur“ als einzelne Gastmusiker präsent, geraten zum Alibi für „Meditions on Mingus“. Die Zeit der „Tributes“ scheint für Willner vorüber. Peter Thomé
Hal Willner presents „Weird Nightmare – Meditations on Mingus“ (Columbia 472467-2)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen