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Vögel in Katzen

Eine Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe zeigt grotesk-magische und kühl-moderne  ■ Vogel-Nistkästen

Der Gestaltungswille des Designers greift längst vom Stuhl aufs Haus und den Garten über, organisiert gar die Natur und bietet auch den Tieren neue Wohnungen an. Kaum daß Vögel Magazine lesen, aber „schöner Nisten“ ist auch ihnen möglich, da Menschen ihnen ihre Formideen anbieten. Dies zu belegen hat Nils Jockel mit einer Gruppe von Studenten der Kulturanimation aus Lüneburg das Museum für Kunst und Gewerbe jetzt mit leichtfüssigen Ideen ganz ohne schweren, sponsorengestützten Anspruch beflügelt.

Im Zentrum seiner Bemühungen, das Haus im Zeichen der Vögel zu inszenieren, steht die Weltausstellungspremiere von vierzig Vogelhäusern eines Laienkünstlers aus West-Virginia. Der Dachdekkergehilfe Elwood Graham James hat in den zwanziger Jahren für Familie und Freunde hölzerne, als mehrfache Nistkästen zu nutzende Plastiken gebaut. Es ist eine Recycling-Kunst vor der Erfindung dieses Begriffs. Mit wundersamen, teils meterhohen Figuren, geschmückt mit Kuchenformen, Tierhörnern, Nägeln und Beschlägen aller Art, lud der taube Sohn einer vierzehnköpfigen Bergarbeiter-Familie die Vögel ein, in Figuren von Indianern, Katzen, Löwen, Schlangen und Fabelwesen zu nisten.

Es ist die heile Welt naiver Volkskunst, die in den USA noch immer tausendfach zu finden ist. Der Sammler Morgan Rank hat die Nistkästen in den achtziger Jahren in einem Schuppen entdeckt und seiner umfangreichen Sammlung von Folk-Art hinzugefügt. Doch auch dort stehen die praktisch-magischen Objekte im Garten den Vögeln zur Benutzung. In Hamburg sind sie an den vom Museumsgründer Lichtwark noch eigenhändig gepflanzten Ginko-Bäumen aufgehängt und im Innenhof des Museums verteilt.

Im Durchgang zum Hof lauern den Besuchern größere Vögel auf: meist aus Fahrradteilen recycelte Wesen mit Glühlampenaugen des in Hamburg lebenden Roberto Spadolini. Im Hause dann fünfzehn Entwürfe der internationalen Designergruppe „Rastlos“ mit ihren „Well chosen domicils and restaurants for birds“. Hier zeigt sich in wenigen Exemplaren die ganze Breite moderner Architektur auf Vögel übertragen. Verspielte Postmoderne in beflügelten oder eiförmigen Nistkästen, moderner Konstruktivismus dagegen in rechtwinkligen „Wartehäusern“ aus Pressglas oder dem geschwungenen Plexiglasdach eines Futterplatzes.

Dabei erscheint die moderne Phantasie eher fade gegenüber der hölzernen Tierwelt des Dachdekkers. Es sind allemal die Sehnsüchte des Menschen, die auf die Vögel projiziert werden und ihnen die eigenen unbefriedigten Ideen zur Benutzung anbieten: der naive Traum einer harmonischen Welt von Mensch und Tier unter der Herrschaft des amerikanischen Seeadlers, die Vereinigung der Gegensätze durch das Nisten der Vögel in einer Katze oder die ironische Ausdehnung aktueller Architektur auf das Tierreich. Hajo Schiff

Bis 4. Juli, „Vogelhaus“ mit Text und 16 Postkarten 12 Mark.

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