: Königin der Abschweifungen
■ Georgette Dee und Terry Truck mit neuem Programm im Schmidt
und Terry Truck mit
neuem Programm im Schmidt
„Achtung, ich komme!“, tönt es schrill hinter dem Vorhang und schon steht sie da: grauer Anzug, einen Fuchs um den Hals, in der Hand die obligatorische Zigarette und im Gesicht diesen wahnsinnigen roten Mund. Eine „Eindrucksmonumentalität mit verheerender Wirkung“ nennt Georgette Dee sich und läßt daran auch in ihrem neuen Programm Einfach so? Genau! keinen Zweifel.
„Ich möchte heute über Freunde und Beziehungen reden, ein Thema, das ich sonst immer ausgespart habe“, leitet sie mit kokettem Augenaufschlag den Abend ein - sie, die selbstverständlich nie über etwas anderes geredet hat. Und die man über nichts anderes sprechen und singen hören möchte, denn wer sonst brächte es fertig in ein und demselben Chanson ein verletztes „Warum bist du zu mir so roh?“ und ein geiles „Warum ist dein Arsch so warm?“ mit der gleichen Überzeugungskraft über die Lippen zu rollen?
Daß ihr das eines Tages gelingen würde, war bei der Geburt vor gut dreißig Jahren nicht eben abzusehen: schließlich kam sie als er mit einem stinknormalen deutschen Namen in der Lüneburger Heide zur Welt. Unter einem der seltenen Bäume dieses norddeutschen Landstrichs soll ihn dann aber der Blitz getroffen haben, fürs Showbusiness geboren zu sein. Es folgte die Flucht aus der Provinz, der Einstieg in die legendäre Hamburger Familie Schmidt, später die Bekanntschaft mit dem Pianisten Terry Truck in London und 1984 ihr Durchbruch im Frankfurter Theater am Turm. Georgette Dee gilt heute als Stardiseuse Deutschlands.
Ihr Können liegt in der einzigartigen Verbindung von Chansonette und Conférencier. Niemand beherrscht die hohe Kunst des Abschweifens so wie sie, niemand ver-
1liert mit der gleichen Emphase den roten Faden oder nimmt ihn so galant aus dem Nichts wieder auf. Im Verwirrspiel liegt ihr Charisma: Mal ist sie schillerndes Zwitterwesen, das sich narzißtisch selbst ausstellt und mit zoologischem Interesse auf der Bühne beobachtet wird; im nächsten Moment wieder gelingt es ihr, die intimste Wohn-
1zimmeratmosphäre herzustellen. Mal Femme fatale, mal zuviel Gefühl und immer wieder die ironische Brechung allzustarker Stimmungslagen.
Trotzdem sie das erste Mal nicht allein mit Truck sondern mit vierköpfiger Band auftritt, ist es mehr one-woman-show denn je: selbst Terry Truck verschwindet inmitten
1der üppigen Arrangements, die der Pompösität der Darbietungen durchaus entsprechen. Ein Schritt weg vom Chanson hin zum Schlager wurde mit diesen wohlfeilen Kompositionen getan - aber wenn der deutsche Schlager auch nur eine Chance hätte, gäbe es eine würdigere Vertreterin als eben Georgette Dee? Christiane Kühl
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