: Sex ist... Verständigung über Sex
■ Was Mann schon immer über Sex hätte wissen sollen: Ein Film von Marc Huestis
„Dieser Film ist teilweise durch das National Endowment for the Arts (NEA) finanziert“: Dieser Vorspanntitel läßt aufhorchen, und wenn dann prompt auch noch Jesse Helms während einer seiner homophoben Tiraden gezeigt wird, dann hat der Film „Sex is...“ eine Seite dessen, was Sex ist, schon klargestellt: ein Politikum, ein Staatsakt. Die nachfolgenden Pornoszenen definieren die andere Seite, die nicht-öffentliche, die praktizierte, die erträumte, die begehrte, auch die gefürchtete; die Seite eben, der die Fragestellung, was denn Sex bedeute, vor allem in Zeiten von Aids, im weiteren gilt.
Da die eine Seite der anderen immer in die Quere kommt und umgekehrt, wechseln sich Dokumentareinblendungen (unter anderem die Ankündigung von der Entdeckung des HIV-Virus in den Abendnachrichten der achtziger Jahre und wieder Jesse Helms, der von der Pferdepeitsche spricht, mit der man die Schwulen...) mit Pornoeinblendungen ab (von oralem, analem und S&M-Sex, die ganze Palette hindurch, bis zum Safer- Sex; und natürlich folgt auf Helms die Lust an der Peitsche...). Die Aussagen von 15 Männern einer schwulen Regenbogenkoalition kreuzen sich schließlich in der – von ihnen allen mit einigem Erstaunen wahrgenommenen – Aussage, daß Sex eine historische Angelegenheit ist. Nicht im Sinne von Vergangenem, vielmehr – auch Sex ist eine Angelegenheit des Zeitgeistes, der Moden, der Obsessionen, die gerade en vogue, populär sind. Und die können, auch in der neuen Radikalität, die die siebziger Jahre brachten, ziemlich eindimensional sein. Nach Lulus, dem alleinstehenden Hausmann, selbstironischer Schilderung von San Francisco in Vor-Aids-Zeiten, „hinter jedem Felsen war ein Mann“, kommen einem die Strand-Sex-Fotos von Bruce Weber in den Sinn, diese Apologie einer Macho-Macho-Männlichkeit, die rundum von allen als im Ende asozial und unkommunikativ, kurz: enttäuschend, benannt wird.
Sex ist... weit mehr, als Mann jemals vermutete: Das ist die Quintessenz, die in so gänzlich verschiedenen Lebensläufen wie dem eines 70jährigen Geistlichen, zweier Transvestiten, eines Pornostars, eines ziemlich zwanghaft-intellektuellen Historikers und eines geradezu anachronistisch anmutenden, putzigen Post-Hippie-Pärchens als Erfahrung kenntlich wird. Und könnte sich so selbstkritisch, aber auch nostalgisch, so amüsiert, aber auch wütend und traurig – vor allem aber so explizit – nicht nur über die schwule Gemeinde über Sex verständigen, dann wäre hinsichtlich Aids, überhaupt der Frage von Verlust, Tod und andererseits Lust, Lebensfreude und Liebe viel gewonnen für die Spezies, die sich durch „chronische Sexualität“ (Arnold Gehlen) auszeichnet. Brigitte Werneburg
„Sex is...“ Regie: Marc Huestis, 80 Min., USA 1993, täglich 22.30 im Notausgang, Vorbergstraße 1.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen