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Sozialhilfe: Bremen mit 2 Mark Spitze — bis 30. Juni

■ Sozial-Deputation vertagte Anhebung der Sozialhilfe-Bezüge / Finanzressort will Abbau der Spitzenposition

Bremen ist Spitze, wenigstens in einem Bereich, und das immerhin noch 8 Tage bis zum 30. Juni 1993: In Bremen erhalten Sozialhilfeempfänger ihr Geld nach einem Eckwert-Regelsatz von 511 Mark und nicht etwa wie in den meisten Bundesländern nur 509 oder 510 Mark. München wird bei dieser Lichterkette einmal außen vor gelassen, es würde mit 555 Mark eigentlich weit vorn liegen. Im kommenden Jahr, genauer: bis zum 30.6.1994, muß der Regelsatz um 2 Prozent, also ca. 10 Mark, erhöht werden. In den darauf folgenden Jahren jeweils um 3 Prozent, so steht es im finanzpolitischen Konsolidierungs-Programm von Bund und Ländern.

Wer nun denkt, zum 1.7.1993 würde die Sozialhilfe um 10 Mark erhöht, der irrt. Schon in vergangenen Jahren hat es Bremen geschafft, die Erhöhung um einige Monate hinauszuzögern und dadurch real Geld zu sparen. Diesmal hat die Sozialdeputation das Thema Erhöhung, das seit Monaten bekannt ist, ausgerechnet am gestrigen 21.Juni auf der Tagesordnung gehabt und dann auf die August-Sitzung vertagt. Das heißt: Im Juli und August gibt es schon mal keinerlei Sozialhilfeerhöhung.

Die Sozialsenatorin hatte vorgeschlagen, die Sozialhilfe am 1.7. um 5 Mark und am 1.1.1994 nochmals um 5 Mark zu erhöhen. Das spart im zweiten Halbjahr 1993 immerhin 1,25 Millionen Mark plus Zinsen. Allerdings rechnet das Sozialressort für die Anhebung einen Verwaltungsaufwand von 600.000 Mark, der von der Ersparnis abzuziehen wäre „ohne Berücksichtigung von Kosten für Programmänderungen, Materialkosten usw...“ Bleibt als Effekt eine Umschichtung von Sozialbeamten und eine Ersparnis von immerhin 650.000 Mark.

Das Finanzsressort hatte altenativ vorgeschlagen, die Eckwerte zunächst nur um 0,4 Prozent zu erhöhen, also um 2 Mark, 1994 dann um 1,6 Prozent. Das ergäbe 1993 Einsparungen um 500.000 Mark (bei gleichzieitigen Verwaltungsmehrkosten von 600.000 Mark).

Dem Finanzressort muß es gedämmert haben, daß dies schlecht aussähe, und so formulierte der persönliche Referent des Senators drei Tage vor der gestrigen Sitzung ein neues Papier mit einem neuen Vorschlag: Ab 1. Juli soll es nichts mehr geben und ab 1. Januar dann die 10 Mark. Kostenersparnis: 2,5 Millionen plus Zinsen. Außerdem wandte der Finanzsenator ein, nach den geltenden Meßzahlen dürfe der Zeitbedarf pro Umstellung nur 7 Minuten pro Fall betragen, die Kosten der Umstellung somit nur 133.000 Mark. Und das nur im Falle von Überstunden ... Damit, so erläutert der Kröning-Referent Jürgen Hartwig, würde Bremen wenigstens zeitweise von seinem Spitzenplatz bei der Sozialhilfe etwas herunterkommen.

In der Sozialdeputation war dann die FDP dafür, insgesamt nur um 1,6 Prozent zu erhöhen, die SPD schien nicht eindeutig festgelegt, und die CDU hatte überhaupt keine Meinung. Nur die Grünen waren klar: 2 Prozent ab sofort, wie es übrigens auch in Berlin, Schleswig-Holstein und Hamburg passiert. Nach dem Gesetz sind übrigens „sozialerfahrene Personen“ zu befragen vor der Entscheidung, und die wiesen darauf hin, daß die Inflationsrate bei den Gütern des täglichen Gebrauchs 4 Prozent betrage. Die Sozialdeputation, das ist der erste Effekt der komplizierten Lage, sah sich gestern außerstande, über zwei, fünf oder zehn Mark zu entscheiden und vertagte das Thema. Nun soll im August der Koalitionsausschuß eine Linie vorgeben, und dann wird die SPD, so hofft Senatorin Gaertner, im Senat „geschlossen, wie sie immer ist“, dafür stimmen.

Wie es zu der Spitzenstellung Bremens in Sachen Sozialhilfe gekommen ist, ist eine Nachbemerkung wert. 1993, als die letztjährige Anpassung der Sozialhilfe beraten wurde, sei in einer Senatssitzung mündlich die Information gekommen, Niedersachsen hebe um 7,8 Prozent an. Dies war der korrekte Satz, macht man die Preissteigerungen zum Maßstab. Bremen schloß sich an. Die Information aus dem Sozialressort erwies sich aber als falsch: Niedersachsen blieb damals bei 7,4 Prozent und landete damit bei 509 Mark, Bremen zog vorbei und darf sich seitdem Spitze nennen. K.W.

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