: Geflüchtete Intifada-Kids gegen PLO
Der palästinensische Minisozialstaat PLO steht kurz vor der Pleite / Kritik der Palästinenser am Lebensstil der Führung und politischer Druck der arabischen Staaten durch Geldentzug ■ Aus Kairo Khalil Abied
„Wir wollen unser Geld und zwar jetzt“, riefen die Demonstranten mit erhobenen Fäusten und wütender Stimme in der palästinensischen Botschaft der libyschen Hauptstadt Tripoli. Die jungen Männer sind Mutaridin, Intifada-Aktivisten, die ganz oben auf der Abschußliste der israelischen Besatzungsmacht stehen. Monatelang hielten sie sich in den Bergen der Westbank versteckt, bis ihnen die Flucht ins arabische Ausland gelang. Seit ein paar Monaten haben sie keinen Pfennig mehr in der Tasche und jedes Mal, wenn sie im PLO-Büro vorstellig werden, das in solchen Fällen zu helfen pflegt, bekommen sie dieselbe Antwort: „Die Kasse ist leer.“ Jetzt haben sich die Jugendlichen entschieden, die Sache selber in die Hand zu nehmen, mit den Mitteln, die sie noch vor kurzem gegen die israelische Besatzungsmacht eingesetzt haben. Die Demonstration endete mit ein paar Verletzten in der PLO-Botschaft und die Intifada- Kämpfer landeten im libyschen Gefängnis.
„Wir befürchten, daß dies nicht das letzte Ereignis dieser Art war“, sagt ein PLO-Funktionär. Die PLO befindet sich in einer akuten Finanzkrise. Auf der letzten Tagung des Zentralkomitees der Fatah, der größten PLO-Organisation, die vor ein paar Tagen stattfand, hatte das Thema keine geringere Bedeutung als die Diskussion über die 10. Runde des Nahostfriedensprozesses. Man beschloß den PLO-Haushalt um mehr als 70 Prozent einzuschränken. Von den Maßnahmen sind viele Funktionäre der Organisation und Zehntausende von palästinensischen Familien in den besetzten Gebieten, in Jordanien und im Libanon betroffen. Denn bislang agierte die PLO wie ein Exilstaat der Palästinenser, der Gesundheits- und Bildungsinstitutionen, wie Krankenhäuser in arabischen Staaten und Universitäten in den besetzten Gebieten finanzierte. Sie bezahlte die Gehälter von Hochschullehrern und Sozialhilfe an die Familien von Getöteten und politischen Gefangenen in den besetzten Gebieten.
PLO-Kreise sprechen von einem Finanzkrieg gegen die PLO, mit dem wohlhabende arabische Staaten politische Ziele verfolgen. In den Siebzigern und Achtzigern floß das meiste Geld aus den arabischen Ölstaaten – und es floß reichlich. Doch während des Golfkrieges wurde die Unterstützung wegen der pro-irakischen Haltung der PLO eingestellt. Und jetzt drängen die USA die Golfstaaten, die Wiederaufnahme der Finanzhilfe von Fortschritten im Nahostfriedensprozeß abhängig zu machen. Und das Geld fließt derweil an die PLO-Opposition, etwa an die islamische Hamas und an Arafat-Opponenten in der Fatah, wie den alten Saudi-Freund Hani El- Hassan, der in Amman ruinierte PLO-Kader um sich sammelt.
„Man benutzt die finanzielle Waffe, um uns zu Zugeständnissen bei der 10. Verhandlungsrunde der Nahostgespräche zu zwingen“, sagte ein Palästinenser im Umfeld der palästinenischen Delegation. Die Clinton-Administration drängt auf eine gemeinsame israelisch palästinensische „Erklärung von Grundsätzen“, die den Weg für ein syrisch-israelisches Abkommen über die Zukunft der Golanhöhen frei machen würde. „Nach dem Scheitern der Bosnien- Intitiative wollen sie wenigstens Erfolge im Nahen Osten vorweisen können“, sagt der Politiker.
Aber der palästinensischen Unterschrift unter einer solche Erklärung steht viel im Weg. Seit der letzten Verhandlungsrunde sind die Beziehungen zwischen den amerikanischen Vermittlern und der palästinensischen Delegation von Mißtrauen geprägt. Die Amerikaner hätten ihre Versprechen, wie die Rückkehr der Deportierten aus dem Libanon oder die Wiederaufnahme der Finanzhilfe aus den Golfstaaten, mit denen sie die Palästinenser nach Washington gelockt hätten, nicht eingehalten, heißt es aus der Umgebung der Delegation. Außerdem würden die Amerikaner trotz ihrer erklärten Rolle als „ausgewogener Partner“ faktisch stets für Israel Partei ergreifen. Während der letzten Runde hatten die Amerikaner bei der Diskussion um die gemeinsamen Prinzipien ein „Kompromißpapier“ vorgelegt, das nach Meinung der Palästinenser nicht mehr als eine bessere Formulierung des israelischen Entwurfes war, vor allem was die Vollmachten des zu wählenden Selbstverwaltungsrates und den zukünftigen Status des arabischen Ostjerusalem betrifft.
Das hat zu Differenzen selbst unter den „moderaten“ Teilen der PLO und in der Delegation selber geführt. Deren Vorsitzender, Haidar Abdel Schafi erklärte, daß man auf solcher Grundlage nie zu einer Lösung kommen werde. Er forderte die Aussetzung der Verhandlungen. Feisal Husseini ist hingegen der Meinung, daß die Palästinenser nehmen sollten, was sich biete, und die übrigen Fragen in der Zukunft angehen sollten .
Das letzte Wort wird wohl die PLO in Tunis haben. Allerdings fordert Arafat einen Preis dafür, daß er der Delegation grünes Licht für die die Unterzeichnung der „Grundsatzerklärung gibt. Der Finanzboykott gegen ihm muß aufhören. Und die USA und Israel sollen direkt mit ihm verhandeln.
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