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Zerstörung einer Demokratie in Kongo

Nach kontroversen Parlamentswahlen rüsten die einstigen Militärherrscher des afrikanischen Ölstaates zum Bürgerkrieg / „Mit allen Mitteln“ wird das Land lahmgelegt  ■ Von Martina Witzlack und Dominic Johnson

Brazzaville/Berlin (taz) – Still und leise schlittert eines der wenigen afrikanischen Länder, die den friedlichen Übergang von der Militärdiktatur zur parlamentarischen Demokratie geschafft haben, in den Bürgerkrieg. Kongo, ein kleiner ölreicher Staat an der Atlantikküste, ist im Würgegriff eines Machtkampfes zwischen altem und neuem Establishment, der auf tribaler, politischer und wirtschaftlicher Ebene ausgefochten wird und das normale Leben zum Stillstand gebracht hat.

Barrikaden riegeln die Hauptstraßen der Hauptstadt Brazzaville ab, Schulen, Banken, Post und fast alle Geschäfte sind geschlossen. Die Anlieferung von Benzin sowie Obst und Gemüse ist unterbrochen, da sowohl der Busverkehr lahmliegt wie auch die beiden Hauptverkehrsadern des Landes stillstehen – die Eisenbahn von der Hauptstadt zum Hafen Pointe- Noire und die Schiffsfähre von Brazzaville über den Kongo-Fluß nach Zaires Hauptstadt Kinshasa auf dem anderen Ufer. In Vorbereitung auf einen möglichen Bürgerkrieg haben die Botschaften der USA und Frankreichs begonnen, ihre in Kongo lebenden Staatsbürger auszufliegen.

Wahlboykott und Straßenblockaden

Kongo hat kaum mehr Einwohner als West-Berlin, und das politische Establishment des Landes zählt kaum mehr markante Figuren als ein deutscher SPD-Landesverband. Bis 1991 war das Land eine „Volksrepublik“ mit Einheitspartei und einem der Armee entstammenden Staatschef namens Denis Sassou-Nguesso. Er ist auch heute der Hauptwidersacher seines demokratisch gewählten Nachfolgers Pascal Lissouba, der lange Jahre im Exil verbrachte, bevor er im August 1992 die ersten freien Präsidentschaftswahlen gewann. Sassou-Nguessos ehemalige Staatspartei „Kongolesische Arbeiterpartei“ (PCT), die sich historisch auf eine Allianz zwischen den Landvölkern des Nordens und die Wanderarbeiterschaft der Ölindustrie stützt und enge Verbindungen zur dort dominierenden französischen Ölgesellschaft „Elf“ unterhält, führt ein Oppositionsbündnis an, das immer wieder lauthals gegen Lissoubas neue Partei „Panafrikanische Union für Soziale Demokratie“ (UPADS) Front macht. Die UPADS ist in den Südvölkern des Landes verankert, was dem Konflikt eine tribalistische Schlagseite verleiht. Im November 1992 war es der PCT gelungen, Lissoubas erstes Kabinett per Mißtrauensvotum zu stürzen, worauf Lissouba die Opposition ins Kabinett holte und das Parlament auflöste.

Beim ersten Durchgang von Neuwahlen zum Parlament am 2. Mai errang die UPADS 62 von 125 Sitzen und verfehlte somit knapp die absolute Mehrheit. Das von der PCT angeführte Oppositionsbündnis errang 49 Sitze, protestierte gegen angebliche Wahlmanipulation und rief zum Boykott der für den 6. Juni angesetzten zweiten Runde auf. Die Stichwahlen wurden folglich zu einem klaren Durchmarsch für die UPADS, die nunmehr insgesamt 69 Sitze und damit eine klare Mehrheit hat.

Die seit Herbst in Brazzaville herrschende Spannung entlud sich an diesem Wahlsonntag. In die Stille eines Fahrverbotes fielen die ersten Schüsse: Drei Menschen starben vor dem Haus des PCT-nahen Handelsministers Gabriel Bokilo. In den folgenden Tagen war ständig Maschinengewehrfeuer zu hören. Bernard Kolelas, Vorsitzender der PCT-dominierten Oppositionsallianz, rief die Bevölkerung zu einer Kampagne des „zivilen Ungehorsams“ ab 10. Juni auf: Die „Demokratie“ müsse „mit allen Mitteln – ich betone: allen Mitteln“ verteidigt werden. Nicht ganz zu Unrecht sahen Regierungsanhänger darin einen Aufruf zum Bürgerkrieg, zumal die PCT zur Zeit ihres Machtverlustes ihre Anhänger reichlich mit Waffen versorgt hatte.

Hauptziel der Rebellen: Die Bierbrauereien

Die seit dem Kolelas-Aufruf errichteten PCT-Straßensperren aus Bäumen, Bezinkanistern und Autoreifen werden denn auch von Kalaschnikoff-bewehrten Milizionären bewacht. PCT-Anhänger haben die beiden Bierbrauereien der Hauptstadt besetzt und die Produktion lahmgelegt, was die Unzufriedenheit der Bevölkerung beträchtlich anheizt. Unklar in dem ganzen Konflikt ist die Haltung der Armee, die zwar Lissouba stützt, gegen die PCT-Milizen jedoch bislang nicht einschreitet.

Seitdem Kolelas am vergangenen Wochenende offen zu einer „militärischen Lösung“ des Konfliktes – sprich: Militärputsch – aufgerufen und eine von der Regierung angebotene Annullierung der Stichwahlen abgelehnt hat, scheint kein Kompromiß mehr möglich. Am Mittwoch ernannte Präsident Lissouba einen neuen Premierminister mit Armeevergangenheit: General Joachim Yhombi- Opango, der bereits von 1977 bis 1979 Staatspräsident war. Die Hauptaufgabe des als unzimperlich bekannten Politikers soll sein, so heißt es knapp im staatlichen Fernsehen, „den Frieden und die Sicherheit im Lande wiederherzustellen“. Die Opposition hat darauf mit der Bildung einer „Gegenregierung“ reagiert und will ein eigenes Gegenparlament auf die Beine stellen. Es droht eine Paralyse des Landes nicht unähnlich der im benachbarten Zaire, mit dem Unterschied, daß die Rollen von Regierenden und Regierungsgegnern dort genau andersherum zwischen alten und neuen Machthabern verteilt sind.

Die Regierung hängt am Tropf der Ölmultis

Der Machtkampf in Kongo ist nicht nur politischer Natur. Kongo, wie Angola oder Nigeria, lebt vom Öl; seine Ölgesellschaft „Elf- Congo“ – größter privater Arbeitgeber des Landes – gehört zu 75 Prozent dem französischen Elf- Konzern.

Daß Elf auch das Militärregime Sassou-Nguessos protegierte, war im Land kein Geheimnis. Als die neue demokratische Regierung Verhandlungen mit der US-Ölfirma Occidental Petroleum Corp. („Oxy“) aufnahm, war klar, daß die Zeiten des französischen Monopols beendet werden sollten. Am 28. April – fünf Tage vor den Wahlen – war der Vertrag unterschrieben: Oxy darf in drei Ölfeldern – darunter eines, das bereits von Elf ausgebeutet wird – 75 Millionen Barrel Öl fördern und zahlt dafür 150 Millionen Dollar. Ein für die weltwirtschaftliche Stellung Kongos kennzeichnendes Geschäft: Die Regierung erhält eine bitter nötige Finanzspritze, Oxy erhält Öl zum Spottpreis von zwei Dollar pro Barrel.

Schon zwei Tage später wurde der französische Botschafter bei Lissouba vorstellig; kurz darauf auch der Direktor von Elf-Congo, Jacques Fournier – man kann sich denken warum. Wenig später behauptete Ex-Militärdiktator Sassou-Nguesso auf einer Wahlversammlung: „Ich habe bei meinen französischen Freunden alles geregelt.“ Mit anderen Worten: Die 150 Millionen Dollar von Oxy, die über die französisch kontrollierte „Zentralbank der Zentralafrikanischen Staaten“ laufen müssen, würden nie ankommen.

Das Geld kam schließlich doch – am Tag vor den Wahlen. 80.000 kongolesische Staatsbeamten erhielten das Wahlgeschenk eines pünktlichen Gehaltes, Lissoubas Sieg war gesichert.

Daß Sassou-Nguesso offenbar doch nicht „alles geregelt“ hatte – ist dies der Grund für die Destabilisierungskampagne? „Es gibt jenseits der Grenzen Leute, die davon träumen, Kongo in eine Gewaltspirale zu stürzen“, sagt Lissouba. Die Tage der Demokratie in Kongo scheinen gezählt.

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