: Intellektuelle Scheingefechte
■ betr.: "Fourth Reich'n Roll", taz vom 12.6.93
betr.: „Fourth Reich 'n' Roll“,
taz vom 12.6.93
Braucht G. Hündgen tatsächlich eineinhalb – von der taz schon gekürzte – Zeitungsseiten, um festzustellen, daß Nazi-Rock eine perverse Steigerung des Rock'n'Roll ist?
Als Leser darf man da doch sehr gespannt sein, welch eine tiefschürfende Analyse einen erwartet! Und nach dem Lesen ist man auch wirklich beeindruckt: allerdings weniger von Analyse und fundierter Information, als von der großen (rock-)kulturkritischen Geste mit der hier springerpressen-kompatible Plattheiten verkündet und intellektuelle Scheingefechte geführt werden.
Da werden wir großartig darüber belehrt, daß Rock „Bauchmusik“ ist und die alte Gleichung Rock gleich links längst nicht mehr gilt (als ob wir das auch nicht so wüßten). Da werden mit Vehemenz die Argumente, Rechts- Rock sei auf jeden Fall minderwertiger Rock und eigentlich 'ne Medienhype, zurückgewiesen – als ob solche Behauptungen überhaupt jemand ernst nehme. Da wird dann in allgemeinen Worten und vagen Beispielen der Irrationalismus der Rockmusik beklagt, und daß sie 'ne Menge ambivalenter oder gar schlimmer Emotionen transportiere. Ja, Rockmusiker und -fans erscheinen als tendenziell denkfaule, aus dem Bauch lebende, böse Buben, deren Welt im wesentlichen aus Männlichkeitswahn, Saufen, Gröhlen usw. besteht.
[...] Hündgen übt sich im fulminanten Appell: „Gefühle ersetzen weder intellektuelle Auseinandersetzung noch politische Praxis.“ Recht hat er.
Und: Wir müssen mit den „Tümlern“ im Rock „aufräumen“! – Jawohl! Gegen „Tümler“ sind wir doch irgendwie alle! „Tümler“, igitt, wie sich das schon anhört! Hündgen, das Wort hier ist einfach genial! Ja, die „Tümler“ müssen weg!
[...] „Tümler“ sind z.B. die Leute von der AG „Arsch huh“, die machen nämlich nicht nur Meanstream-Rock, sondern singen gegen die Faschisten auch noch in Mundart und fühlen sich irgendwie heimat- und volksverbunden! – Nein, so was! Ekelig! Entsetzlich! Wahnsinnig gefährlich! Da müssen wir doch alle zusammen „aufräumen“!
Nach einer Atempause fragen wir uns: Wieso eigentlich? Wir lesen die ganzen eineinhalb taz-Seiten noch mal rauf und runter. Irgendwo wird uns der große Verfechter der intellektuellen Auseinandersetzung doch erklären, weshalb das, was er despektierlich „Heimatliebe und Volksverbundenheit“ nennt, an sich schon rechts, verwerflich und gefährlich ist – selbst dann, wenn es eindeutig abgesetzt ist von nationalem Chauvinismus, Rassismus und völkischem Gedankensumpf. Doch wir suchen vergebens! Keine Begründung, kein Argument! Nur irgendwo in einem Nebensatz die Vermutung, daß die Entlarvung des Rassismus als „unkölsch“, der sich der „Arsch huh“er verschrieben haben, wohl irgendwie am Ende auch eine Entlarvung als „undeutsch“ bedeuten solle. – Wie kommt Hündgen darauf?
Inzwischen fällt uns ein, daß der Autor als Mitarbeiter von Spex (der einzig wahren linken, innovativ-aufklärerischen, den Meanstream bekämpfenden Musikzeitschrift), emotional einfach wahnsinnige Probleme haben muß bei dem Gedanken, jemand könnte sich mit größeren Teilen der Bevölkerung verbunden fühlen: Das sind doch alles Leute, die Mainstream hören und auch noch Spaß dabei haben! Igitt! Deshalb ist's Hündgen wohl auch nicht möglich gewesen, die Message der „Arsch'huh“-Leute ungefiltert mitzukriegen: nämlich, daß ihre emotionale Verbundenheit mit Köln wesentlich damit zu tun hat, daß sich dort immer wieder Kulturen und Völker gemischt haben und mischen (weshalb auch die rassistische Propaganda der „Deutschen Liga“ u.a. in Köln besonders absurd ist). Und daß das Gefühl, irgendwo beheimatet zu sein, und nationalistische Emphase zweierlei sind.
Bleibt dann nur noch die Frage, wer ist eigentlich in der beschworenen „intellektuellen Auseinandersetzung“ und „politischen Praxis“ weiter? Diverse „Arsch huh“- Leute oder Gerald Hündgen? Winfried Ohlerth, Köln
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