Short Stories from America: Kein Film über Deutschland
■ Warum Bonn auf Arnold Schwarzenegger und andere Ausländer angewiesen ist
Arnold Schwarzenegger ist ein großer Amerikaner. Er gehört zu den wenigen Menschen in diesem Land, die es im richtigen Lichte sehen. Die Kleingeister, die jeden Tag über den Mangel an Lebensqualität jammern, verwechseln Amerika mit einem Ort, an dem Menschen leben. Das ist schierer Blödsinn.
Ich zum Beispiel lebe in Manhattan, einer Insel vor der Küste, die der Rest unseres Landes mit Vergnügen an die Briten oder Indianer zurückverkaufen würde, wenn die sie jemals wiederhaben wollten. Meine Insel hat nur wenig mit New Jersey und weiter westlich gelegenen Orten zu tun, und mit Amerika noch weniger. Der Ort, an dem zwischen den Öllachen New Jerseys und den Schwimmbecken von Los Angeles über 250 Millionen Menschen leben, ist eine Katastrophe, die Amerika nicht angelastet werden kann – denn das ist, wie Arnold weiß, ein Film.
Schon bevor es Filme gab, war Amerika ein Film in den Köpfen der Menschen in anderen Ländern. Ein Film über die unbegrenzten Möglichkeiten des Lebens – wenn sie nicht in ihren Ländern leben müßten. Diese Reise nach Amerika ist also Menschen von anderswo vorbehalten. Menschen, die sich in winzigen Seelenverkäufern auf den Weg nach Amerika wagen, oder die 35.000 Dollar ausgeben, um sechs Monate auf einem schmutzigen, seeuntüchtigen Schiff zu leben, nur um der Chance willen, in chinesischen Imbißbuden Teller zu spülen. Dazu ist nur fähig, wer eine Vision von Amerika hat, und wer eine solche Vision hat, der lebt nicht hier.
Als Anfang Juni ein solcher illegaler Frachter vor New York auf Grund lief, starben acht Menschen; die übrigen wurden von den Einwanderungsbehörden festgenommen. 35.000 Dollar: Herrgott, um das zu sehen, würde niemand 7,50 Dollar für die Kinokarte ausgeben – und das heißt, es kann gar kein Film sein.
Das auf Grund gelaufene Schiff zog ein paar Titelgeschichten über das schlimme Los der Einwanderer nach sich, von der Sorte, nach deren Lektüre sich die Bürger sehr schlecht vorkommen, was dann sehr erhebend wirkt. Diese Titelgeschichten kosteten durchschnittlich 35 Cents, und selbst Kinder wissen, daß das für einen Film nicht reicht. Den 300 illegalen Einwanderern auf dem gestrandeten Schiff hatte es niemals gereicht, in Kenia und Südchina, wo das Schiff sie aufgelesen hatte. Jetzt haben sie auch noch den Rest verloren – ihre Kleiderbündel, ein paar Bilder von zu Hause und das große Bild von Amerika.
Arnold, der große Amerikaner, hat Amerika niemals verloren, und Gott sei Dank hat er auch das Geld, um den Film zu machen. „Last Action Hero“ ist letzte Woche im ganzen Lande angelaufen, eine Huldigung an jenen Film, der Amerika heißt, und an jene, die ihn im Kopfe haben. Damit meine ich Filmemacher.
„Last Action Hero“ ist eine Satire auf Hollywoodhelden (besonders auf Arnold), und zugleich auch eine Huldigung an sie (besonders an Arnold) – weil sie den Leuten in New Jersey und den westlich gelegenen Ländereien soviel Gutes tun. Es ist ein Action-Film, zusammengerührt aus „Roger Rabbit“, „Welt von 2001“, „Tune in Tomorrow“ und all den anderen Filmen, die die Phantasiewelt des Films feiern, vor allem Woody Allen's „The Purple Rose of Cairo“. „Last Action Hero“ zeigt die gleiche Herablassung gegenüber Menschen, die in Filme geraten, und zum Leben erwachten Leinwandhelden.
In diesem Sommer haben Touristen also die Chance, Amerika in „Last Action Hero“ zu erleben. Ich tat es und hatte meinen Spaß – nahm ein paar Fotos von mir und Arnold mit heim, für die Familie. Aber wem die Schlangen vor den Kassen zu lang sind, dem bieten sich auch ein paar andere Blicke auf Amerika an.
Im August kann man zum Weltjugendfestival in Denver, Colorado, fahren. Vordergründig ist es ein internationales Treffen katholischer Jugendlicher, das alle zwei Jahre stattfindet; in Wirklichkeit ist es die Reise in ein Amerika, in dem man über hundert verschiedene Papstartikel kaufen kann: Von Pope-on-the- Rope-Seife über Posters und das obligatorische T-Shirt bis zu Pope-Scopes – einem Pappteleskop, mit dem die Zuschauer den Papst über die Köpfe der Menge hinweg sehen können. (Gegen eine Skulptur des skilaufenden Papstes – Pope on the Slope – erhob die Marketingabteilung Einspruch.)
Sollte Ihnen Denver keine Reise wert sein, stehen all diese Artikel binnen Monatsfrist in jedem guten Kaufhaus für Sie bereit. Wer sich darüber wundert, daß Amerika den Papst zu Geld macht, sollte sich daran erinnern, daß Steven Spielberg in diesem Sommer die Dinosaurier vermarktet. Warum dann nicht auch die Kirche?
Wenn Touristen sich schon ins Herz Amerikas verirren, dann können sie auch gleich in Huntington, Indiana, Station machen – im neuen Dan-Quayle-Center und Museum. Ausgestellt werden unter anderem der High-School- Sweater des ehemaligen US-Vizepräsidenten, seine Senatsgolftasche, seine Schulbaseball-Uniform, seine Heiratsanzeige in der Huntington Herald Press und sein Jura-Diplom mit der vom Hund Barnaby angeknabberten Ecke.
Porträts von Mr. Quayle wurden von Künstlern angefertigt, wie Clarissa aus Milwaukee, die nur einen Namen hat, „genau wie Cher“, und die ein Porträt des ehemaligen Vizepräsidenten aus gehämmertem Messing beisteuerte. Clarissa wurde besonders bekannt, als sie ihr Porträt von Elizabeth Taylor mit einem kühnen „Liz“ verzierte, wofür ihr die Schauspielerin einen Dankesbrief übersandte. Museumskurator Thomas Mehl sagt, er wolle das Quayle-Zentrum „hell und positiv“ gestalten. Anstelle von Regierungspapieren, juristischen oder politischen Dokumenten kann man Quayles Zeugnis aus der fünften Klasse lesen sowie einen Brief, den er 1959 an seinen Onkel Gene schrieb.
Neben anderen Denkwürdigkeiten kann man ein Buch mit einem treffenden Titel erwerben: „Wissenswertes über Dan Quayle, das Sie aus den Medien, von Talkshow-Moderatoren und Liberalen niemals erfahren werden“. Einer der Museumsbesucher, hieß es in der Lokalzeitung und der New York Times, soll gesagt haben: „Da sieht man, was aus jemandem werden kann, wenn er zur Schule geht, reitet, Golf spielt und gute Noten kriegt.“
Die Spektakel in Denver und Huntington sind wundervolle Beispiele für Amerika. Sie haben mich bewogen, über Bonns neues Gesetz gegen die Ausländerflut nachzudenken. Wenn Amerika so etwas täte, wäre es bald verschwunden, denn Ausländer sind die einzigen Menschen, die wissen, was Amerika ist. Wenn Bonn, dieser Nabel der Demokratie und des Wirtschaftswunders, Menschen fernhält, die anderswo geboren und aufgewachsen sind – wer wird denn dann noch glauben, daß es existiert? Marcia Pally
Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning
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