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Deutsche Möbel in Dresdner Idylle

Bruno Paul und die Deutschen Werkstätten Hellerau – eine Ausstellung in Dresden  ■ Von Martin Kieren

Dresden ist weiß Gott keine Idylle. Aus dem Bahnhof herausgetreten, macht sich sofort dieses eigenartige Gefühl des Verlorenseins breit, das einen angesichts des sogenannten „sozialistischen Städtebaus“ überkommt: ungeregelter Verkehr auf viel zu breiten Straßen und nicht richtig zu ortende weite Plätze, an deren Randbereichen viel zu hohe Häuser stehen – Plattenbau. Erst die Straßenbahn bringt einen in zwanzig Minuten aus dieser Wüste hinaus nach Hellerau.

In dieser Gartenstadt im Norden Dresdens, ab 1906 nach Plänen von Richard Riemerschmid erbaut und nachfolgend von Heinrich Tessenow und Hermann Muthesius erweitert, steht ebenfalls ein Plattenbau. Das 1924 entworfene Fertighaus mit flachem Dach – damit dem sogenannten Neuen Bauen verbunden – ist die kleine Sensation der Werkbund-Ausstellung „Bruno Paul und die Deutschen Werkstätten Hellerau“. Denn das Paulsche Haus, das aus einem Holzplattengerüst errichtet und anschließend verputzt wurde, fand sich in der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur zwar immer abgebildet und erwähnt – nur kam bislang niemand auf die Idee, nach dem Original Ausschau zu halten. Dies wurde jetzt nachgeholt – und siehe da: es steht zwischen großen Bäumen am Rande der Siedlung, im Originalzustand, wird bewohnt und gepflegt und vom derzeitigen Besitzer mit Stolz vorgezeigt.

Daß die Initiatoren der Ausstellung die Möbelentwürfe von Paul mit dem gleichen Stolz zeigen, läßt sich nicht sagen. Die Möbel wurden in zwei leerstehende Hallen des von Riemerschmidt gebauten Fabrikgebäudes der „Deutschen Werkstätten“ verfrachtet, von Ausstellungsgestaltung weiter keine Rede. Und dies an einem Ort, der eine Vorreiterrolle für das industrielle und handwerkliche Gestalten in Deutschland einnahm.

Der Dresdner Fabrikant Karl Schmidt hatte schon 1906 gemeinsam mit Riemerschmid in seinen „Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst GmbH“ die ersten preiswerten und qualitätvollen „Maschinenmöbel“ hergestellt. Ab 1913 in „Deutsche Werkstätten AG“ umfirmiert, legte der Betrieb die maschinell-handwerklich gefertigten Möbel in Kleinserien auf. Zu den namhaften Architekten und Gestaltern, die die sogenannten „Typen“ entwarfen, gehört Bruno Paul.

Paul arbeitete zunächst als Illustrator und Karikaturist für die Zeitschrift Simplicissimus, ab 1906 dann vornehmlich als Architekt. 1907 war er Mitbegründer des Deutschen Werkbunds mit Sitz in Dresden, der auf die technische und ästhetische Verbesserung deutscher Industrieerzeugnisse setzte. Bruno Pauls Zusammenarbeit mit den „Deutschen Werkstätten“ begann 1911 und endete erst kurz vor seinem Tod 1968. Sein während dieser Zeit geschaffenes Möbelprogramm ist so umfangreich, daß der beste Kenner der Materie, der Kunsthistoriker Alfred Ziffer nicht weiß, ob die lange Liste der von ihm in den letzten Jahren zusammengetragenen Entwürfe und Möbel den Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann.

Ausschnitte aus diesem Möbelprogramm nun also am Ort der Entstehung zu betrachten weckt Skepsis. Die Möbel wirken miefig, und auch sehr deutsch. Die Gründe für den Ruf Pauls als einer der „einflußreichsten Möbelgestalter des Jahrhunderts“, wie ihn die Initiatoren der Ausstellung bezeichnen, kann man in einer originär-gestalterischen Qualität nicht entdecken. Dieser Ruf ist wohl eher im Umfang seines Schaffens zu suchen. Die Möbel, die als Einzelstück, aber auch serielles Massenprodukt entstanden, wollten geschmacklich und finanziell eine breite Käuferschicht ansprechen; als Anbausysteme konzipiert, entwickelte sich daraus seit 1935 das jahrzehntelang erfolgreiche Programm der „Wachsenden Wohnung“. Insofern sind die Entwurfsqualitäten nicht außerordentlich, sondern eher ordentlich zu nennen. Überwiegen in den 10er Jahren noch spätbiedermeierliche Elemente, so sind es in den 20er und 30er Jahren Formen, die sich ständig auf dem Grat zwischen vermeintlich sachlicher Strenge und barocker Fabulierlust bewegen. Die Schlaf- und Herrenzimmer wirken oft pathetisch bis monumental und martialisch-schwer. Durch die Verwendung stark wirkender Furnierhölzer, etwa „naturmattierter Silberbirke“, kommen die Möbel oftmals unruhig und spießig-komisch daher.

Vielleicht erhellend zu wissen, daß Pauls Sitzgarnituren und Büromöbel auch dem Führer gut gefielen. Denn auch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten konnten die Werkstätten mit Großaufträgen rechnen. Sie wurden die Hauptausstatter der neuen Machthaber, während der Deutsche Werkbund und das Bauhaus 1933 schließen mußten.

Die Ausstellung „Bruno Paul und die Deutschen Werkstätten Hellerau“ ist bis 27. Juli in den Deutschen Werkstätten Hellerau/Dresden, Moritzburger Weg 67, Mi.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 10–19 Uhr, So. 10–18 Uhr zu sehen. Katalog im Hellerau Verlag, Dresden

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