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Kiez contra Kohle

■ FC St. Pauli: Wiedersehen mit Helmut Schulte und ein 1:1 gegen Schalke 04 Von ClaudiaThomsen und Kai Rehländer

Nein, mit dem unlängst von Corny Littmann attestierten gestörten Verhältnis zur Unterhaltung in diesem Lande schien sich keiner der 8540 Schaulustigen im Wilhelm-Koch-Stadion 'rumschlagen zu müssen. Souverän und mit einer Prise Kitsch, genauer drei Stauden Bananen, wurde die Inszenierung von der Gegengeraden aus eingeleitet.

Mittwochabend, der Gipfel der Achterbahn und die höchsten Gondeln des Riesenrades lugten noch eben über die Wipfel der umstehenden Bäume, rieselten die gelben Südfrüchte nieder auf das Haupt des „Langen“. Helmut Schulte war heimgekehrt, wenn auch nur als Gast. Romantisch, passend zum irgendwie rötlich bewölkten Himmel, begrüßten ihn die Getreuen mit seinem Markenzeichen, hallo Helmut!

Heute trainiert der vor zwei Jahren am Millerntor Geschaßte den 1. FC Schalke 04, die zweitsympathischste, zweitkitschigste Equipe im Profifußball – Auf keinem anderen aktuellen Mannschaftsfoto dürfte das Team schmuddelige Kumpels umarmen, die vor lauter Kohlenstaub kaum mehr aus den Augen gucken können.

47 Jahre ist es her, daß man sich am Millerntor traf, das macht nervös. Hastig-haspelig drängelten sich die Worte aus dem Mund von Stadionsprecher Wulff: „Wegen dem großen, dem unerwartet großen Andrang beginnt das Spiel ein paar Minuten später.“

Während desselben verstummten die „Helmut-Helmut“ Choräle nur langsam und die anfänglich gelungenen Schalker Aktionen wurden - we are the world - auch von den Pauli Fans beklatscht.

Erstaunen allenthalben über die Leistungen der eigenen Equipe, der endlich wieder in St.Pauli-Braun-Weiß gewandeten Jungs aus dem Hamburger Schmuddelviertel. Über Dirk Dammann in der 13. Minute etwa, der in einem in diesem Stadion so seltenen Anflug von Eleganz die Schalker Abwehrreihe düpierte, indem er per Lob in den freien Raum Martino Gatti in Szene setzte. Ohne größeres Murren aus der Gegengeraden durfte der vormalige Berliner dann diese Chance vergeben. Als gelungene Novität wurde auch der neue Spielmacher, Carsten Pröpper aus Remscheid bestaunt. „Wenn man graphisch darstellen würde, wo dieser Mann überall war, wäre das ganze Spielfeld voller Linien“, versuchte der Reporter eines statistikverliebten privaten Fernsehsenders den Aktionsradius des neuen Spielmachers zu umschreiben.

Einzig über Abstimmungsschwierigkeiten auf der rechten Abwehrseite zwischen Martino Gatti und Jürgen Gronau wurde ein wenig gegrantelt und darüber, daß es St. Pauli-Spieler waren, die die Schüssse ihrer Kollegen im gegnerischen Strafraum abblockten. „Da haben wir endlich wieder eine Mannschaft mit Perspektive“, freute sich unterdes in der Halbzeitpause Jürgen Wähling, Manager und Chefeinkäufer des Vereins trotz eines Schönheitsfehlers in der 41. Minute, als Marinus Bester unbedrängt von der Millerntorabwehr köpfend das 1:0 für die Schalker erzielen konnte.

Nach der Pause präsentierte Seppo Eichkorn noch die anderen neuen Spieler, die den FC St. Pauli in der kommenden Saison von jedweden Abstiegssorgen befreien sollen. Trunken vom Esprit früherer erfolgreicherer Tage wurde Markus Sailer von der Gegengerade mit „Toni-Toni“-Rufen gehuldigt, ein Mordsschuß von Andreas Mayer, der von der Isar an den Kiez kam, beklatscht.

Verstimmung machte sich erst breit, als es 20 Minuten vor Schluß noch immer 0:1 für die Gäste stand: „Das beste am heutigen Tag war die Currywurst da unten“, bundeskanzlerten die unerbittlichsten unter den Fans das stetige Mühen der Paulianer ab. Doch die im Stadion verkaufte Wurst war in Wirklichkeit nur eine frisierte Thüringer und so kam das beste noch. In der 71. Minute erzielte Holger Stanislawski den Ausgleich, während eine Möwe einmal um das gegnerische Tor kreiste und in Richtung der inzwischen illuminierten Achterbahn davonflog. Es blieb bis zum Schlußpfiff vollkommen harmonisch, also beim Unentschieden. Kohle traf Kiez - schön wars.

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