: Aus für PVC-Verbot in Hessen
SPD und Grüne verwässerten per Landtagsbeschluß das hessische PVC-Verbot von 1990 / Koalition vor der Chemielobby eingeknickt ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) – Hessen hat den bereits beschlossenen Einstieg in den Ausstieg aus der Chlorchemie zurückgenommen. Mit den Stimmen von SPD und Grünen verabschiedete der Landtag gestern eine Beschlußvorlage, mit der das bereits 1990 von den VolksvertreterInnen beschlossene Verbot der Verwendung PVC-haltiger Materialien im öffentlichen Wohnungs- und Behördenbau wieder aufgehoben wurde. Die Regierungsparteien haben, so die Landtagsabgeordneten Karin Hagemann (Grüne) selbstkritisch, dem Druck der „massiven Lobby der chemischen Industrie und ihrer Hilfstruppen von der IG-Chemie“ nicht standgehalten.
PVC-Lobby klemmt Fraktionschef Klemm ein
Der Mann heißt Armbruster und ist Geschäftsführer der Hanauer Firma Dunloplan. Und er schoß – nomen est omen – die größten Bolzen ab: gegen die rot-grüne Landesregierung in Hessen im allgemeinen und gegen Umweltminister Joschka Fischer (Die Grünen) und den Fraktionsvorsitzenden der SPD im Landtag, Lothar Klemm, im besonderen. „In den Ruin“ würden die Roten und Grünen in Wiesbaden die prosperierende Dunlop-Tochter Dunloplan treiben – und 300 MitarbeiterInnen in die Arbeitslosigkeit. Vor knapp vier Wochen hatte sich Lothar Klemm in die Höhle des PVC- Löwen gewagt, um vor Ort um Verständnis für den schon 1990 mit den Stimmen aller im Landtag vertretenen Parteien verabschiedeten PVC-Ausstieg zu werben. Damals war man sich einig, daß auf PVC bei Bauvorhaben der Öffentlichen Hand und im sozialen Wohnungsbau ab 1993 „schrittweise“ verzichtet werden sollte. Doch Klemm stieß in seinem Wahlkreis Hanau nicht nur bei der Geschäftsführung der PVC-Bodenbeläge herstellenden Firma Dunloplan (Marktanteil: 25 Prozent) auf völliges Unverständnis. Auch die Vertreter der IG Chemie und des Betriebsrates sprachen von einer „Anti-Chemie-Hysterie“ in Hessen. Und Armbruster sattelte noch drauf: Selbst wenn es der Firma gelingen sollte, ein gleichwertiges Substitut zu entwickeln, werde Dunloplan nicht auf die Verarbeitung von PVC bei der Herstellung von Bodenbelägen verzichten. PVC sei nämlich ein problemlos zu bearbeitender Werkstoff mit „vorzüglichen Eigenschaften“. Mit Ersatzstoffen wie Gummi, Linoleum oder Korkeiche, so Armbruster, sei nicht nur der Bedarf nicht zu decken. Sie seien auch – weil Importware – wesentlich teurer. Armbrusters Drohung: Man werde sich in Hanau dem politischen Druck nicht beugen. Schließlich habe man im vergangenen Jahr rund 4 Millionen Quadratmeter PVC-Bodenbelag verkauft.
Man werde sich dem Druck der PVC-Lobby nicht beugen, hieß (noch) vor Monatsfrist auch auf dem Landesparteitag der hessischen Grünen in Langöns die Parole – gerade nach der Störfallserie bei der Hoechst AG. Doch da hatte beim sozialdemokratischen Koalitionspartner längst ein „Prozeß des Nachdenkens“ (Fraktionschef Klemm) eingesetzt. Tausende von Chemiewerkern aus der ganzen Republik waren nur Tage zuvor durch die hessische Landeshauptstadt gezogen und hatten eine Aufhebung des PVC-Einsatzverbots von 1990 gefordert. Und CDU und FDP avancierten zum parlamentarischen Arm der neuen Prostestbewegung aus Chemieindustrie und IG Chemie. Mit einem Antrag im Landtag, der auf die Aufhebung des Beschlusses abzielte, sollte die rot-grüne Koalition ausgehebelt werden.
Und SPD und Grüne standen in den letzten vierzehn Tagen tatsächlich unter gewaltigem Druck: Der SPD-Spitze wurde von ihrem Gewerkschaftsfügel in der Landtagsfraktion die Hölle heiß gemacht – und in Klemms Wahlkreis Hanau mit Dunloplan und den Nuklearbetrieben drohte die Basis wegzubrechen.
Die Grünen wurden dagegen von den Umweltschutzverbänden und auch von der eigenen Jugend bekniet, nicht aus Gründen der Koalitionsräson hinter den Beschluß von 1990 zurückzufallen. Es gehe nicht an, schrieb die Grüne Jugend Hessen (GJH) ihren Mandatsträgern im Landtag ins Stammbuch, daß sich die SPD immer wieder von der CDU „wie die Sau“ durch Wiesbaden treiben lasse und so das eigentliche Ziel der rot-grünen Hessenkoalition, den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft, aufs Spiel setze. Immerhin werde bei der Verbrennung von PVC das Sevesogift Dioxin freigesetzt. Und Chemieunfälle bei der Herstellung würden unabsehbare Folgen nach sich ziehen.
Der Kompromiß, den SPD und Grüne gestern im Landtag verabschiedeten, um ein Votum sozialdemokratischer Abgeordneter für den CDU-Antrag zu verhindern, war windelweich: Kein generelles Verbot mehr für den PVC-Einsatz am Bau. Dafür einen Appell an die PVC-Verarbeiter, doch bitteschön „natürlichen Baustoffen“ oder „PVC-freien Kunststoffen“ den Vorzug zu geben. Wer für seine PVC-Fenster oder Bodenbeläge gar einen Recyclingnachweis des PVC-Herstellers vorzeigen kann, braucht sich keine Gedanken mehr um Alternativen zu machen. Und falls Ersatzstoffe um 20 Prozent teurer sind als PVC, darf gleichfalls weiter PVC verarbeitet werden.
Grüner Knicks vor der Koalitionsraison
Einen intelligenten Kompromiß nannte das ein Sprecher der IG- Chemie. Als eine Verschlechterung wertete der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rupert von Plottnitz, den neuen Beschluß. Doch die Grünen hätten den Wunsch des Koalitionspartners nach einer „Modifizierung“ des Verbotsbeschlusses zur Kenntnis nehmen müssen – und aus Gründen der Koalitionsräson zugestimmt. Für den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist dagegen die Glaubwürdigkeit der sozial-ökologischen Koalition „den Bach hinunter“ gegangen. Daß ausgerechnet SPD und Grüne in Hessen vor den PVC-produzierenden Chemiegiganten in die Knie gegangen seien, sabotiere den Kampf der UmweltschützerInnen gegen die hochgefährliche Chlorchemie in ganz Deutschland, wetterte der BUND nach der Entscheidung im Landtag. Im Trakt der Grünen im hessischen Landtag liefen die Abgeordneten denn auch mit Leichenbitterminen durch die Gänge – trotz der vorangegangenen Debatte um den Punktsieg der ausstiegswilligen rot-grünen Koalition gegen die neue Plutoniumschmiede der Firma Siemens durch die VGH- Entscheidung vom Vortag. „Was hätten wir denn tun sollen“, fragte sich Pressesprecherin Elke Cezanne ratlos: „Etwa die Koalition am PVC platzen lassen?“
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