: Drohung mit Scheinverweigerung ist Nötigung
■ Interview mit Monika Frommel, Strafrechtsprofessorin und Direktorin des Instituts für Kriminologie in Kiel, über die bayerische Beratungspraxis und das Anonymitätsrecht
taz: Frau Frommel, wie bewerten Sie die bayerische Praxis, wonach eine schwangere Frau keinen Beratungsschein erhält, wenn sie nicht will, daß ihre Personalien archiviert werden?
Frommel: Wenn die Beratene erfolglos auf Anonymität besteht, ist das ein schwerer Verstoß gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Frau und somit datenschutzrechtlich bedenklich. Auch widerspricht es dem Übergangsrecht des Bundesverfassungsgerichts, wonach es einen Rechtsanspruch auf Anonymität gibt. Ich halte es für strafrechtlich relevant, wenn die Beratungsstelle die Herausgabe des Beratungsscheines verweigert, weil die Frau auf Anonymität besteht. Die Drohung mit der Verweigerung des Scheins stellt eine Nötigung dar.
Die Bayern sagen, daß ihre Praxis Frauen und Ärzte schützt...
Das ist mir unbegreiflich. Wenn eine Beratung vorliegt, ist weder der Arzt noch die Frau strafbar. Im übrigen könnte die Frau von sich aus der Beratungsstelle auftragen, eine Kopie des Scheines zu verwahren. Aber gegen ihren Willen dient es nicht dem Schutz der Frau. Es handelt sich um eine Beschlagnahme von Unterlagen.
Dürfen die Beratungsstellen überhaupt Daten herausgeben?
Nein, das würde gegen datenrechtliche Grundsätze verstoßen.
Auch die bayerische Pro Familia folgt bislang den Vorgaben des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung in München. Muß Pro Familia Bedenken haben, wenn sie künftig die Anonymität der Frau respektiert?
Offenbar befürchtet Pro Familia, daß ihnen 1995 die Anerkennung versagt werden könnte. Da aber die Vorgabe des Ministeriums rechtswidrig ist, würde ich raten, das gerichtlich prüfen zu lassen.
Wie kann sich eine Frau im Einzelfall wehren, wenn sie nach erfolgter Beratung den Beratungsschein nicht erhält?
Die Frau ist in einer Zwangslage. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als zu einer anderen Beratungsstelle zu gehen. Wenn in Bayern alle Stellen diese Praxis ausüben, bedeutet dies, daß Bayern neue Hürden setzt. Dann werden wir demnächst wieder Verfahren wie in Memmingen haben.
Könnte die Frau auf Herausgabe des Scheines klagen?
Das ist möglich, ich halte es nur für völlig unwahrscheinlich, daß eine Frau in einer Zwangslage und unter Zeitdruck dies tun würde. Sie kann aber nachträglich feststellen lassen, ob es sich nicht um eine rechtswidrige Einschränkung des Persönlichkeitsrechtes und des informationellen Selbstbestimmungsrechts handelt. Noch besser wäre es aber, wenn die Beratungsstellen selbst klagen würden.
Ist der Alleingang von Bayern überhaupt rechtlich in Ordnung?
Nein, Bayern setzt sich über Bundesrecht hinweg und spekuliert darauf, daß sich das Bundesrecht nicht durchsetzen wird.
Und spekuliert vielleicht auch darauf, daß in einem künftigen Gesetz die bayerischen Vorstellungen verankert werden?
Damit werden sie keinen Erfolg haben. Der Anspruch auf Anonymität hat Verfassungsrang.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen