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Nachschlag

■ Initiative Neue Musik

Mit dem Aufschwung des Jazz entwickelte sich in der Neuen Musik ein merkwürdiges, bis dahin nie gekanntes Feindbild: die Improvisation. Über Jahrhunderte hinweg war sie im Bereich des heutzutage „ernst“ genannten Musiklebens Normalität gewesen – nicht nur Bach und Beethoven haben sie öffentlich praktiziert, auch noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts haben beispielsweise Pianisten wie Wilhelm Kempff sie durchaus auf dem Konzertpodium praktiziert.

Mindestens drei Jahrzehnte nach der Entstehung einer expliziten Improvisationsszene, die teilweise alles Auskomponierte (unter dem Gesichtspunkt musikalischer Selbstbestimmung) verwarf, und den ersten Reanimationsversuchen am frei fantasierten Spiel seitens „klassischer“ Musiker wie etwa „Nuovo Consonanza“ in Italien oder „AMM“ in England, ist Improvisation längst wieder zum Volkssport geworden.

Nur die Auftrittsorte professioneller Improvisatoren und ihrer interpretierenden Musikerkollegen sind strikt getrennt geblieben, nicht nur die Einkommenslagen divergieren sehr stark, auch die urheberrechtliche Anerkennung der improvisierenden Musiker seitens der GEMA ist bis heute ausgeblieben: Wer improvisiert, spielt seine Töne in die Ewigkeit, finanziell schlägt sich nur nieder, was auch auf dem Papier niedergeschrieben ist. Da half auch die Erfindung des schönen Wortes vom instant composing herzlich wenig.

Die Infragestellung des disjunkten musikalischen Dreigestirns aus Komponist/Interpret/Improvisator aber hat trotzdem Folgen gezeitigt: Eine junge Musikergeneration hat, angespornt durch große Vorbilder wie John Cage und David Tudor, Vinko Globokar oder die New Yorker Downtown-Szene um John Zorn, die Berührungsängste und den damit verbundenen Hang zu übermäßiger Spezialisierung überwunden. Manche Musikstudenten glauben, das Stegreifspiel brauche weniger trainierende Vorbereitung.

Das von der „Initiative Neue Musik“ unterstützte Konzert, das Mittwoch abend in der Kantine der Kulturbrauerei stattfand, war ein äußerst positiver Fall von Mischprogramm, das allerdings nicht nur komponierte und improvisierte Neue Musik mischte, sondern auch die Interpreten beider. Christine Reumschüssel attackierte gekonnt ihr Klavier, wohingegen Hilde Kappes, mit voice experimental angekündigt, kurzweilig die Möglichkeiten ihrer Stimme auslotete. Abrundend sorgte die Marc Alexander Group für freundlichen Fusion-Jazz unter dem Titel – eben – „Fusionen“. Walter Kovalski

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