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Keine religiöse Bewegung

■ Mit Salman Rushdie sprach Osman Okkan über die Chancen des Fundamentalismus und seinen Kollegen Nesin

taz: Herr Rushdie, wie interpretieren Sie die Erfolge der islamischen Fundamentalisten, und wie beurteilen Sie die Haltung der westlichen Intellektuellen dazu?

Salman Rushdie: Das Problem des fundamentalistischen Programms ist, daß es in Wirklichkeit nicht funktioniert. Der Fundamentalismus taugt nicht als Grundlage für einen Staat. Gerade das Land, in dem er nun schon so lange an der Macht ist, demonstriert das Scheitern dieses Projekts: Der Iran liefert uns die besten Indizien, die wir gegen den Fundamentalismus anbringen können.

Mein Hauptanliegen ist, daß man das nicht den westlichen Ländern überlassen darf. Sie sind nämlich nicht daran interessiert. Da hat sich eine enorme Langeweile breitgemacht. Die Leute haben alles Interesse an dem Thema verloren. Ich glaube, die westlichen Regierungen haben heute eine zwiespältige Haltung zum Iran. Sie versuchen, ein doppeltes Spiel zu spielen. Sie kritisieren, und gleichzeitig weigern sie sich, den iranischen Staat mit politischen Mitteln zu zerstören. Aber es ist allzu einfach, den Amerikanern alle Schuld in die Schuhe zu schieben.

– Es ist auch unsere Schuld, die Schuld der Intellektuellen in jenen Ländern und auch derjenigen, die im Ausland leben. Wir müssen damit anfangen. Sonst können wir niemals erreichen, daß die Amerikaner oder andere Menschen im Westen uns zuhören.

Sie haben sich gerade gemeinsam mit Aziz Nesin die Video-Dokumentation des Massakers in Sivas angesehen. Was sind Ihre Eindrücke?

Nun, das ist eine sehr schockierende Serie von Bildern, und ich glaube, Herr Nesin hat viel Glück, heute hier zu sein. Es ist grauenhaft zu sehen, wie ein Hotel brennt, und schlimmer noch – zu sehen, wie Beamte dem Mob in die Hände arbeiten, Feuerwehrleute zum Beispiel, die einen Mann denen ausliefern, die nur darauf warten, ihn umzubringen.

Das ist ein sehr beredtes Beispiel dafür, wie religiöser Fanatismus die Menschlichkeit zerstören kann. Ich kann mir nicht vorstellen, welcher Gott dies gutheißen würde. Das ist eine Art von Faschismus, der im Namen Gottes daherkommt, und wer ein Bild davon braucht, hier ist es.

Seit dem Erscheinen Ihres Buchs und seit der Fatwa der Mullahs ist die fundamentalistische Gefahr also größer geworden?

Sie ist heute eine der gefährlichsten Herausforderungen für die Zivilisation, denn wie diese Bilder zeigen handelt es sich um eine Zerstörung jeglichen zivilisierten Verhaltens. Daher scheint mir der religiöse Fanatismus keine religiöse Bewegung zu sein. Es ist eine politische Bewegung wie die Braunhemden. Die Gefahr ist, daß in einer so verworrenen Welt, in der es so wenig Sicherheiten gibt, die Leute sich an irgend etwas klammern. Religion kann ihnen diesen falschen Trost bieten, sie manipulieren, in Kriminelle verwandeln, die zu großer Grausamkeit fähig sind. Ich glaube, es ist niemals wichtiger gewesen, daß diejenigen, die an Demokratie und Säkularismus glauben, so laut wie möglich ihre Stimme erheben.

Ich fürchte manchmal, daß es in Ländern wie meinem eigenen – Indien, wo ich herkomme – oder ohne Zweifel auch in der Türkei –, der Schrecken, den diese Mobs verbreiten, so stark ist, daß die Leute verstummen. Diese Reaktion verringert die Gefahr nicht, sondern vergrößert sie.

Wie beurteilen Sie nun, vier Jahre nach dem Urteil iranischer Geistlicher gegen Sie, die Haltung westlicher Regierungen?

Ich glaube, wenn ich die Haltung der westlichen Regierungen beschreiben sollte, würde ich von Indifferenz sprechen. Im westlichen politischen Kontext ist das irgendwie ein langweiliges Thema, es ist sehr schwer, die Leute dafür zu interessiern. Zum Teil wohl, weil der Wissensstand über diese Gesellschaften im Westen sehr niedrig ist. Deshalb gibt es da die Neigung zu törichten Verallgemeinerungen. „Das ist halt eure Kultur“, sagt man, „was können wir schon dagegen machen.“

Und wenn man sagt, daß in Wirklichkeit keine Kultur monolithisch ist, daß allen Kulturen ein Streit zwischen reaktionären und progressiven Elementen innewohnt und man sich entscheiden sollte, auf welcher Seite dieses Streits man stehen will, dann wird man feststellen, daß es sehr, sehr schwer ist, die Leute im Westen dazu zu bringen, diesem Dialog Aufmerksamkeit zu schenken. Dies hat natürlich zur Folge, daß die reaktionärsten und lautesten Stimmen in einer Gesellschaft, diejenigen, die den Mob auf die Straße bringen und Hotels abfackeln lassen, plötzlich als die authentischen Stimmen einer Kultur bezeichnet werden, während progressive Stimmen marginalisiert werden. Das ist das Problem in der Reaktion des Westens.

Es ist offensichtlich, daß nun der Terrorismus triumphiert; sehen Sie, was in dieser Situation am Ende passiert ist: Die iranische Regierung ruft zum Terror gegen mich auf, die islamischen Fundamentalisten in der Türkei rufen zum Terror gegen Herrn Nesin auf. Das Resultat davon ist, daß es der Hilfe einer massiven Sicherheitstruppe bedarf, wenn diese beiden freien Bürger freier Staaten zusammen in einem Garten sitzen wollen. Wir dürfen das nicht zulassen. Wenn ein Politiker sich weigert, einen zu treffen, oder wenn eine Fluglinie sich weigert, einen zu befördern, oder was auch immer es sein mag – es handelt sich um Formen der Kollaboration.

Sie hatten knapp zwei Tage Gelegenheit, mit Aziz Nesin über ihre Kontroverse zu diskutieren. Welche Schlüsse können Sie aus diesen Gesprächen ziehen?

Ich muß sagen, daß ich persönlich sehr froh bin, daß es möglich war, sogar unter diesen eigenartigen Umständen. Eines der Hauptprobleme in dieser ganzen Affäre war die Fehlinformation, was seltsam ist, weil wir beide, Herr Nesin und ich, mit Massenmedien vertraut sind. Und doch haben wir irgendwie beide falsche Informationen über einander bekommen. Es hat eine ganze Weile gedauert, Licht in die Sache zu bringen. So habe ich nun beispielsweise entdeckt, daß entgegen anderslautender Behauptungen Herr Nesin keinen Anteil an den Aktivitäten dieser türkischen Tageszeitung hatte, die Auszüge aus meinem Buch veröffentlicht hat. Man hat ihm ebenso einige irreführende Informationen über mich gegeben, und ich glaube, es ist gut, daß wir das aus dem Weg geräumt haben.

Ich habe Herrn Nesin zum ersten Mal vor sieben oder acht Jahren getroffen, er ist ja als mutiger Kämpfer für demokratische Werte bekannt, und nun freue ich mich sehr darauf, daß wir zusammen für diese Werte eintreten können, für die Demokratie, für den Säkularismus und gegen die dunklen Wolken des religiösen Fanatismus, die unsere Gesellschaften bedrohen.

Aus verständlichen Gründen, „um das Leben anderer Menschen zu schützen“, wie Sie sagten, waren Sie eine Zeitlang gegen das erscheinen der „Satanischen Verse“ in einigen Ländern. Wie ist nun Ihre grundsätzliche Haltung dazu?

Nun, ich habe immer daran geglaubt, daß Information Erhellung bringt; man kann sich keine Meinung zu einem Buch in dessen Abwesenheit bilden; deshalb wünsche ich mir natürlich für das Buch, daß es in jenen Sprachen so weit verbreitet wird wie bereits in vielen anderen Sprachen. Dann werden die Leute es vielleicht mögen oder auch nicht, wie es schließlich ihr gutes Recht ist; jedenfalls sollte ihre Auseinandersetzung von dem Buch ausgehen, wie es wirklich existiert und nicht von den Phantasiegebilden, über welche die religiösen Fanatiker reden.

Das Buch hat viele Leser gehabt, und wie es mit jedem Buch so geht, haben diese Leser verschiedene Meinungen, wissen Sie, da gibt es Leute mit einer hohen Meinung davon, und andere denken, es ist das schlechteste Buch, das je geschrieben wurde... na schön, das ist das Schicksal eines jeden Buches und das gute Recht eines jeden Lesers, aber immerhin existiert das Buch, und die Auseinandersetzung darum beruht auf Information und nicht darauf, was irgendwelche Mullahs in ihren Fatwas sagen.

Sie zahlen einen hohen Preis für Ihr Buch. Wie steht es mit der Unterstützung aus arabisch-islamischen Ländern? Zuletzt hatte man den Eindruck, als wäre Ihnen die politische Diskussion nicht sehr angenehm.

Ich denke, Schriftsteller haben oft schon einen hohen Preis zahlen müssen, wissen Sie, ich bin nicht der erste Schriftsteller, dem sein Manuskript Ärger einbringt. Ich glaube, wir müssen anerkennen, daß es Konsequenzen haben kann, wenn wir uns daran machen, die orthodoxe Wahrheit einer bestimmten Zeit zu bezweifeln; das heißt nicht, daß man gegen diese Konsequenzen nicht ankämpfen sollte. – Ich habe eine Menge Unterstützung bekommen, aber mittlerweile freut mich etwas anderes noch mehr... Lange Zeit haben die Intellektuellen aus dem Osten, aus den muslimischen Ländern, aus Indien und anderswo aus purer Angst geschwiegen, und eine der neuen Entwicklungen des letzten Jahres ist, daß die Leute endlich begonnen haben, deutlich ihre Meinung zu sagen, daß Intellektuelle aus der ganzen muslimischen Welt, aus den arabischen Ländern ebenso wie aus dem Osten, begonnen haben zu sagen, dies ist lächerlich, so geht man nicht mit einem Buch um, ein Buch rechtfertigt keinen Mord, das ist verrückt, und es ist, außer daß es eine Verrückheit ist, auch eine Beleidigung für die Gesellschaft, in der so etwas möglich ist. Und am Ende sind es die muslimischen Gemeinschaften, die am meisten Schaden davon tragen, denn, sehen Sie, Chomeinis Fatwa hat in den Augen der Welt auf einen Streich jeden Muslim in einen potentiellen Mörder verwandelt. Die Tatsache, daß 99,9 Prozent der Muslime nicht so denken, ist nicht klar, weil sie das nicht sagen. Also ist es in meinen Augen noch wichtiger als die westliche Unterstützung, wenn nun wenigstens einige Menschen beginnen, sich so zu bekennen.

Macht der politische Kontext also die primäre Bedeutung ihres Buchs aus?

Ich denke, es steht außer Frage, daß es für einige Zeit unvermeidlich sein wird, dieses Buch in einem politischen Kontext zu sehen, denn der Sturm war so stark; aber das ist ein weiterer Grund dafür, daß man sicherstellen muß, daß das Buch überhaupt existiert, denn Bücher leben sehr lange, politische Skandale hingegen sind sehr kurzlebig. Vielleicht wird der Skandal verpuffen und das Buch wird immer noch da sein.

Ihre Begegnung mit Aziz Nesin wäre fast geplatzt, weil die Lufthansa sich geweigert hatte, Sie zu befördern. Welche politische, welche persönliche Bedeutung hat eine solche Entscheidung in Ihren Augen?

Wissen Sie, die Frage nach der Weigerung der Lufthansa reicht sehr tief; ich glaube nicht, daß dies eine unwichtige Angelegenheit ist, denn man kann mit gutem Recht behaupten, was die Lufthansa damit getan hat, ist die Fatwa zu unterstützen. Das Ziel der Fatwa ist, mich als Paria abzustempeln, mich wie einen Leprakranken zu isolieren, und sie spielen dabei mit. Man sollte sie fragen, wer denn hier der Terrorist ist, ich oder die Regierung des Iran.

Ich habe gelernt, daß meine einzige Waffe die Sympathie der Menschen ist, denn durch sie entstand in verschiedenen Ländern die politische Forderung, mir zu helfen. Man kann aber das Interesse der Leute nicht aufrechterhalten, wenn man nicht reisen kann, und deshalb gefährden jene, die das Reisen unmöglich machen, in Wirklichkeit auch die politische Lösung dieser Situation.

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