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Verflixte Schönheit!

■ Zum Wohle der Gesundheit: Wanderausstellung will Wunsch und Zwang nach Schönheit hinterfragen und Körperbewußtsein wecken

Verflixte Schönheit!

Zum Wohle der Gesundheit: Wanderausstellung will Wunsch und Zwang nach Schönheit hinterfragen und Körperbewußtsein wecken

„Zu dick, viel zu dick!“ schallt es Helga M. entgegen, „drei Kilo über dem Normalgewicht ist häßlich!“ Und tatsächlich: die 32jährige bemerkt plötzlich Rundungen in Hüfthöhe, die sie gar nicht kennt. Zu dick hatte sie sich noch nie gefühlt. Helga M. wendet sich ab und dem nächsten Spiegel zu. Plötzlich hat sie Pickel im Gesicht. Deutlich sind die Hautunreinheiten zu erkennen. Überdeutlich — weil enorm vergrößert. So hat sie sich noch nie gesehen. Unterdessen hat Manfred L., ein stattlicher Endvierziger mit Ansatz zum Bierbauch, einige Meter weiter Halt gemacht. „Zu mager, viel zu mager“, tönt ihm eine Stimme entgegen. Und wirklich: So schmal und schlank, fast wie ein Jammerlappen, hat Manfred L. sich noch nie gefühlt. „Wer keine Muskeln hat zum Zeigen, ist häßlich,“ klingt es ihm nach.

Helga M. und Manfred L. haben sich auf die „Gespensterbahn der Vollkommenheit“ eingelassen. Sie sind (imaginäre) BesucherInnen einer Ausstellung, die gerade erst entsteht und deren Bestandteil jene Gespensterbahn ist. „Verflixte Schönheit!“ ist Titel der Ausstellung, „Über den Wunsch und den Zwang, schön zu sein“ ihr Untertitel. Der Titel verschweigt allerdings, worum es den AusstellungsmacherInnen auch geht: um Gesundheit nämlich. Denn das Gefühl zum eigenen Körper wird im Wesentlichen durch die Schönheitsideale der Medien tagtäglich mitbestimmt. Schönheit ist zum manipulierten und manipulierbaren Attribut geworden.

Der Umgang mit Schönheit hat „elementare Bedeutung für die körperliche, psychische und soziale Gesundheit des Menschen“, betonen die AusstellungsmacherInnen. Das sind MitarbeiterInnen der „Anstiftung“, einer gemeinnützigen Forschungsgesellschaft in München, deren Ziel die „Förderung zukunftssichernder sozialer, kultureller und ökonomisch-ökologischer Maßnahmen“ ist. Die „Anstiftung“ hat das Konzept für diese in mancherlei Hinsicht neuartige Ausstellung lange vorbereitet. Zusammen mit Laien und Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen wurden die Themen eingekreist, die Ideen getestet. Die Installationen der Ausstellung sind deshalb bewußt bürgernah. Die Ausstellung selbst wird ebenfalls forschend begleitet und die BesucherInnen beobachtet und befragt werden. Es ist deshalb durchaus denkbar, daß die Ausstellung noch während ihrer Wanderschaft verändert und den Bedürfnissen ihrer BesucherInnen angepaßt wird.

Sie ist eine Erlebnisausstellung, die Betroffenheit erzeugen will. Mitmachen steht im Mittelpunkt, vor allem mittels Spaß und Interaktion. „Verflixte Schönheit“ empfängt ihre BesucherInnen in einem „Zauberwald“. Dort sollen sie, mit sich selbst — und das heißt mit ihrem Spiegelbild — konfrontiert, den Alltag zurücklassen. Im selben Moment werden sie den Bildern von Schönheitsidealen begegnen, die zunehmend von Ab

Schönheit verpflichtet... fragt sich nur wen und wozuFoto: Katja Heddinga

bildungen „normaler“ Menschen überblendet werden. Die Auseinandersetzung mit Schönheit und ihren fremdbestimmten Idealen kann beginnen.

Zweite Station dieser Reise zur Schönheit des Ich soll eine Spielwiese werden, die alle Sinne — bis hin zum Geruch anspricht und die Selbst- und Fremdwahrnehmung von Schönheit erkennen läßt. Bestandteil dieser Spielwiese ist eingangs beschriebene „Gespensterbahn der Vollkommenheit“. Mit ihren speziellen Zerrspiegeln und Projektionen ist sie ein Element, das BesucherInnen aus Rummelplätzen bekannt und vertraut ist. Hier können sie noch lachen. An anderer Stelle braucht man eher Mut.

In voneinander abgetrennten Räumen sind die Lebensphasen mit ihren (zum Teil auch historischen) Schönheitsidealen dargestellt. Dort soll sich der alte Mensch mit seiner Trauer um verlorene Schönheit ebenso wiederfinden können wie der Erwachsene mit seinem gesellschaftlich bestimmten Jugendlichkeitswahn.

hier die Frau

mit wehendem Rock

„Die Menschen sind sehr selbstkritisch. Sie nehmen meist nur ihre Makel wahr — den dicken Hintern, den Pickel auf der Nase“, sagt Elisabeth Redler, Chefin der „Anstiftung“. Dabei habe doch jeder seine eigene Schönheit: Stimme und Stimmung, auch Geruch und Ausstrahlung betimmen die Wirkung, die man auf andere Menschen ausübt, entscheidend mit — spielen in der Vorstellung von der eigenen Schönheit aber meist keine Rolle.

Die Ausstellung will anstoßen, die eigene Schönheit zu entdecken und darüber ein positives Gefühl zum eigenen Körper zu entwickeln. „Mehr Freiheiten gewinnen zum Thema Schönheit“, beschreibt Elisabeth Redler die Intention des Projektes. Denn Gesundheit entsteht im Alltag, dort, wo Menschen autonom und selbstbewußt mit ihrem Körper umgehen. Wenn Leute sich am Ende der Ausstellung amüsiert im nicht manipulierenden Spiegel betrachten könnten, wäre viel erreicht. Dort wird ihnen nämlich das „Gespenst total“, ihr eigenes

Spiegelbild, entgegengehalten: „Zu durchschnittlich, viel zu durchschnittlich. Wer nicht auffallend gut aussieht, ist häßlich.“

Aber natürlich können sich die BesucherInnen auch informieren über Themen aus dem Bereich Gesundheit und Schönheit. Etwa über kosmetische Chirurgie. In Videos und an Infoständen werden Betroffene berichten — Zufriedene, aber auch Unzufriedene und durch Operation Entstellte. Haut und Umwelt wird Thema sein in der Multimedia-Ecke des Infozentrums, auch Eßstörungen oder Sport und Fitneß.

Gezeigt werden soll die Ausstellung in (sozio-) kulturellen Zentren, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Eröffnet wird sie im Mai in München, kommt dann nach Hamburg und soll dann in die neuen Bundesländer bevor sie auf freie Wanderschaft in interessierte Städte geschickt wird. Eine Fachtagung soll im Herbst 1995 Ausstellung und Begleitforschung debattieren. Birgitt Rambalski

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