: Deutschstunde auf dem Sofa
■ Eine deutsche Fernseh-Literaturgeschichte der letzen fünf Jahrzehnte präsentiert Raritäten aus Bild- und Tonarchiven
An diesem Wochenende beginnen 3sat und ZDF mit einer ambitionierten Sendereihe über „Deutsche Literatur seit 1945“ (sechs Folgen, 3sat ab Samstag, 19.30 Uhr; ZDF ab Sonntag, 10.15 Uhr). Volker Bohn, Germanistikprofessor in Frankfurt, Autor und Moderator der Sendung, verspricht, daß dabei kein verfilmtes Deutschbuch herauskommt, das die weiche Wohnzimmercouch zur harten Volkshochschulbank wandelt: Aus allen verfügbaren Archiven hat man Dokumente zusammengetragen, die das literaturgeschichtliche Referat spicken. Sie sind spektakulär genug, um auch jene vor den Kasten zu locken, die heilfroh sind, Lehrern und Professoren vorerst entkommen zu sein. Unmöglich hier aufzuzählen, was da alles aufgestöbert wurde, von Szenen aus Thomas Manns Schweizer Domizil über Ingeborg Bachmanns Auftritt bei der Dankesrede zum Hörspielpreis und Hermann Kants Inthronisation als Staatsschriftsteller bis zu Rainald Goetz' Stirnschlitzerei in Klagenfurt.
Der chronologische Aufbau des ganzen, der ja alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist (warum nicht Autorengruppen, Genres oder Themen als Leitfaden nehmen?), läßt ahnen, daß es hier um mehr als eine rein germanistische Veranstaltung geht. Wer die Literatur der beiden deutschen Staaten präsentiert, kommt offenbar nicht umhin, wenn auch partikulare und perspektivisch verzerrte Portraits zweier Gesellschaften zu zeichnen. Sich der scheinbar selbstverständlichen chronologischen Ordnung zu entziehen wäre vielleicht ein Mittel gewesen, der Versuchung zur Historienmalerei von vornherein Widerstand entgegenzusetzen. Man hätte sich dabei auch auf das Sujet der Reihe, auf die Literatur der Nachkriegszeit berufen können: einer ihrer Grundimpulse war doch, der Geschichte, die über die Köpfe der Menschen hinweggerollt war, etwas entgegenzusetzen – ungehörte Stimmen, inkommensurable Erfahrung, subjektive Zeit. Aber wir wollen nicht schon vorab mäkeln: Diese repäsentative Fernseh-Literaturgeschichte reicht bis zum Fall der Mauer. Und was danach kommt, ist ja – merkwürdigerweise nicht zur allgemeinen Freude – immer noch offen. jl
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