: Was geht zu weit?
■ Juristen diskutierten über die Grenzen der Kunstfreiheit
Das Grundgesetz sieht vor, daß die Kunstfreiheit nicht schrankenlos ist. Mit diesem Problem beschäftigte sich die „Deutsche Sektion der Internationalen Juristen- Kommission“ auf einer Tagung im fränkischen Kloster Banz. Ungeachtet der Tatsache, daß vor dem Klostereingang ein Gedenkstein an Franz Josef Strauß gemahnt, kam die Kommission nicht nur zu erstaunlich progressiven Ergebnissen: Es wurde auch unter dem Vorsitz von Professor Mahrenholz, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes (Karlsruhe), facettenreich, lebhaft und – wer hätte das von Juristen gedacht? – humorvoll diskutiert. „Kunst beginnt dort, wo die Justiz nicht mehr entscheiden kann, ob es sich um Kunst handelt“, formulierte Edgar Schmitt (Karlsruher SC) das Credo der Tagung.
Wie nun bei der Berührung zwischen dem irrationalen Gefüge der Kunst und dem rationalen Gefüge der Justiz praktiziert werden kann, stellten die Referenten anhand einer Fülle erbaulicher Beispiele dar. Professor Lerche (Uni München) präsentierte „Ausgewählte Fragen zur Kunstfreiheit nach deutschem Verfassungsrecht“. Etwa das berühmte „Mephisto- Urteil“ (1971), dem zufolge der Roman von Klaus Mann auf die Klage der Gründgens-Erben hin verboten wurde, weil er die Ehre des deutschen Mephisto-Darstellers verletze.
Die Debatte über die in der Kunstfreiheit enthaltene Wissenschafts-, Meinungs- und Pressefreiheit war erfrischend. Die Frage, ob Personen des öffentlichen Lebens wie etwa Politiker in Karikaturen und Presseartikeln etwas ruppiger angegangen werden dürfen, wurde großzügig beantwortet: „Wer sich auf die öffentliche Bühne begibt, hat nur noch einen eingeschränkten Persönlichkeitsschutz“, sagte Mahrenholz. Die Juristen übten sich in der Fähigkeit, von sich selbst zu abstrahieren: „Man nennt mich einen Betonkopf“, sagte Professor Ritter (Uni Ludwigshafen), „ich bin zwar nicht damit einverstanden, halte das aber für verfassungskonform.“ Das Bemühen nach Erweiterung von Kriterien jenseits persönlicher Vorlieben und Abneigungen war ständig präsent: „Ich bin nicht begeistert von Beuys' Fettecken, halte aber seinen erweiterten Kunstbegriff für einen Durchbruch“, sagte Ritter.
Umstrittene Fälle aus der österreichischen Justizpraxis referierte Professor Berka (Uni Linz): Im Wiener Prater hatte ein Künstler eine kugelförmige Skulptur errichtet, die einen kompletten Staat mit eigener Verfassung, eigenem Postwesen und sogar eigenen Briefmarken darstellt. Die Behörden rückten trotzdem mit den Bulldozern an, um das nicht genehmigte Bauwerk abzureißen. Der Künstler jedoch argumentierte, daß Begriffe wie Baugenehmigungen und Illegalität bezüglich seines Werkes so sinnlos wären „wie das Suchen des Mondes in der Mondscheinsonate“. Die Vorführung von Werner Schröters „Das Liebeskonzil“, das in Österreich wegen Verletzung religiöser Sitten bundesweit verboten ist, wurde zu später Stunde abgebrochen, nachdem die Mehrzahl der Tagungsteilnehmer friedlich eingedöst war.
Höhepunkt der Tagung war Professor Häberles (Uni Bayreuth) Meta-Rundumschlag „Die Freiheit der Kunst in kulturwissenschaftlicher und rechtsvergleichender Sicht“. Ein komplexer Essay, der die juristische Freiheit soziologisch hinterfragte: Die juristische Freiheit verkomme – so Häberles ideologiekritische These – zu einer Freiheit der freiwilligen Konformität.
Wie man das scheinbar trockene Thema Kunst und Steuerrecht spritzig-vital und vor Paradoxien nicht zurückschreckend präsentiert, demonstrierte der Frankfurter Rechtsanwalt Dr. Heuer: Da Rubens auch von Gehilfen Gemälde pinseln ließ, die er selbst nur noch signierte, wäre er „nach heutigem Recht werbesteuerpflichtig“, also rechtlich gesehen kein Künstler.
Angesichts des so komplex diskutierten Kunstbegriffs wollte Dr. Bettina Brockhost-Reetz, stellvertretende Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, keinen Fehler begehen und definierte vorsichtshalber alles, was die BPS indiziert, als Kunst. Konventionell wurde nur dort argumentiert, wo es direkt ums Geld ging. Carola Streul, Leiterin der Rechtsabteilung der Verwertungsgesellschaft Bild und Kunst, ist es ein Dorn im Auge, daß Künstlerinnen wie Elaine Sturtevant grundsätzlich Werke anderer plagiieren, um sie als ihre eigenen auszustellen. Und das, obwohl kein geringerer als Andy Warhol von dieser augenzwinkernden Weiterentwicklung seiner eigenen Methode begeistert war.
Joachim von Gottberg, ständiger Vertreter der obersten Landesjugendbehörde bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (Wiesbaden), hatte für seine Vorführung nicht in den Giftschrank der FSK gegriffen. Im Gegenteil: Anhand einiger Beispiele liberaler Abwägung zugunsten der Kunstfreiheit und gegen den Jugendschutz („Blue Velvet“, „Wild at Heart“) brachte er die cineastisch unbeleckten Tagungsteilnehmer sichtbar zum Zucken. Grotesk wurde die Vorführung bei George Millers „Mad Max“. Der Privatsender Pro7, der die Kassette freundlichst zur Verfügung gestellt hatte, hatte in vorauseilendem Gehorsam die von Gottberg ausgewählte Szene schon zensiert. Aus der Demonstration der dramaturgischen Notwendigkeit einer brutalen Szene wurde damit eine Demonstration dafür, wie der Sinn eines Spielfilms manipuliert wird, wenn der Fernsehsender mit Regie führt. Ein rechtsfreier Raum.
Zum Abschluß der Tagung sprach Edgar Schmitt über die historische Kontinuität der Zensur als Rechtsbeugung, von der immer dann Gebrauch gemacht wird, wenn ein neues technisches Kommunikationsmittel seinen Aufschwung erlebt. Die modische Antigewalt-Debatte birgt daher inhaltlich nichts Neues und reduziert sich auf ein Appendix der Einführung von Video- und Privat-TV. Mit seinem als Subversion definierten Kunstbegriff rannte Schmitt zumindest teilweise offene Türen ein. Denn zwischen zwei Referaten prägte Verfassungsrichter Mahrenholz beim Kaffeerühren den nicht zitierfähigen Ausspruch: „Alle Horrorfilme sind Kunst.“ Manfred Riepe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen