Hamburger Müll vor Bundesverfassungsgericht

■ Streit um die teure Entsorgung von Giftschlacke weitet sich aus / Sittensen klagt

Ein Fall von verantwortungsbewußter Abfallentsorgung oder ein Beispiel für die alltägliche Geschäftemacherei mit Müll? Bis vor das Bundesverfassungsgericht geht jetzt ein Streit um giftige Hamburger Schlacke und deren teure Entsorgung durch eine Hamburger Firma, die NORDAC.

Es begann 1974, als Hamburg Sittensen mehr als 700 Tonnen Schlacke und Flugasche aus der Müllverbrennungsanlage Stellinger Moor geliefert hatte. Aus dem Material wurde - wie damals durchaus üblich - zunächst ein Parkplatz; später, als bekannt wurde, daß es mit Dioxin und Schwermetallen belastet war, Sondermüll, der 1991 „entsorgt“ wurde.

Um die Kosten für die Entsorgung, insgesamt 1,2 Millionen Mark, geht der Streit bis heute. Die Gemeinde fordert sie als Schadensersatz von Hamburg. Der Prozeß läuft seit zwei Jahren vor dem Hamburger Landgericht und ist noch nicht abgeschlossen. Im verzweifelten Versuch, die Summe von der Gemeindekasse abzuwälzen, hat sich Sittensen auf einen weiteren Clinch eingelassen: mit der halbstaatlichen Niedersächsischen Gesellschaft zur Endablagerung von Sonderabfall (NGS), die in diesem Bundesland nach dem Gesetz für Giftmüll zuständig ist.

Die NGS hatte im Sommer 1991 die Hamburger Firma NORDAC (Norddeutsches Altlastensanierungscentrum) beauftragt, den Sittenser Parkplatzabfall zu beseitigen. Die Schlacke lief durch die neue und allseits gelobte Bodenwaschanlage auf der Veddel. Im nachhinein fiel den Sittensern aber auf, daß die Sache „nicht mit rechten Dingen zugegangen war“, wie der Anwalt der Gemeinde, Sieghard von Saldern, sagt. Denn der NGS-Auftrag war ohne vorherige Ausschreibung vergeben worden. „Die NGS hätte prüfen müssen, ob jemand anders die Sanierung genauso wirksam, aber preisgünstiger anbietet“, so von Saldern.

Was noch unangenehm aufstieß: „Daß Diplomingenieur Hartmut Meyer, der frühere Geschäftsführer der NGS, im Anschluß bei der Firma NORDAC als Geschäftsführer tätig war“. Ein Fall von „Müllconnection“, wie Greenpeace in dem gleichnamigen Buch die verfilzten Geschäfte der deutschen Abfall-Entsorger tituliert? Von Filz könne überhaupt keine Rede sein, versichert Jens Winterberg von der NORDAC gegenüber der taz. Das findet auch der jetzige NGS-Geschäftsführer Jörg Rüdiger und betont zudem: „Es bedarf bei diesen Aufträgen keiner Ausschreibung, und es gab damals keine Alternative zur NORDAC“.

Zudem habe das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Vorwürfe der Gemeinde zurückgewiesen. Dieser Beschluß sei verfassungswidrig zustandegekommen, meint dagegen Anwalt von Saldern, denn: „Das OVG ist dem Hinweis nicht nachgegangen, daß der Auftrag ohne Ausschreibung erfolgt ist“. Bodenwaschung sei „wahnsinnig teuer“, vielleicht „wären andere Entsorgungsmöglichkeiten wesentlich billiger gewesen“. Gegen den Lüneburger Spruch klagt Sittensen nun vor dem Bundesverfassungsgericht.

Klar ist bislang nur: „Altlasten sind überall“, wie die NORDAC in ihrer Werbebroschüre schreibt, und es mit gewaschenem Müll läßt sich viel Geld machen. Vera Stadie