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Als ob es kein Morgen gäbe

Militärs, Politiker und ausländische Geschäftsleute haben den Urwald Kambodschas ausgeplündert – unter den Augen der UN-Verwaltung  ■ Aus Phnom Penh Robin Davies

Alle frühen Schilderungen Kambodschas rühmen die dichten Wälder des Landes, ihre üppige biologische Vielfalt und unberührte Schönheit. Noch bis Mitte der sechziger Jahres waren fast drei Viertel des Landes (13,2 Millionen Hektar) bewaldet. Das Ökosystem des kambodschanischen Regenwaldes – des größten zusammenhängenden Gebiets seiner Art in Asien – galt unter Umweltschützern als einzigartig.

Jüngste Statistiken aber erzählen eine andere, traurigere Geschichte: Aktuelle Satellitenaufnahmen deuten darauf hin, daß der immergrüne Regenwald heute nur noch 49 Prozent des Landes bedeckt (8,9 Millionen Hektar). Und davon sind nicht mehr als 4 Millionen Hektar jungfräulicher Urwald.

Auch wenn die Daten in bezug auf Vergleichbarkeit und Zuverlässigkeit noch umstritten sind, weisen sie doch auf die Größenordnungen hin: Der Regenwald ist innerhalb von nur 27 Jahren um ein Drittel geschrumpft. In mindestens sechs Provinzen des Landes gibt es erstmals ernsthafte Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Brennholz. Viele Flüchtlinge, die nach dem Ende des Bürgerkrieges zurückkehrten, mußten feststellen, daß die Bäume in ihren Dörfern und der nahen Umgebung verschwunden waren.

Ende 1992 aus der Luft aufgenommene Bilder vom Gebiet um Pailin und thai-kambodschanischen Grenzregionen, die von den Roten Khmer kontrolliert werden, zeigten ein solches Ausmaß an Umweltzerstörung und Kahlschlag, daß die UNO-Übergangsverwaltung (UNTAC) sie vorsätzlich unter Verschluß hielt. Bis 1991 – dem Jahr, in dem der Bürgerkrieg durch das Friedensabkommen von Paris offiziell beendet wurde – hatte sich der Waldbestand bereits allmählich reduziert. Dies geschah vor vor allem durch Brennholzeinschlag, Brandrodung mit daraus resultierenden Waldbränden und durch relativ bescheidenen staatlich geförderten Holzexport – abgesehen von den Umweltfolgen der unausgegorenen Wirtschaftspolitik der Roten Khmer.

Doch seit 1991 hat die unkontrollierte Abholzung ein solches Ausmaß erreicht, daß es ernsthafte Zweifel über die Chancen einer Regeneration des Urwaldes gibt. Die Überschwemmungen vom August 1991 und Berichte über eine starke Verschlammung des Tonle Sap-Sees weisen auf die wohlbekannte Spirale hin: Unkontrollierte Abholzung resultiert in Erosion und Verschlammung. Das führt zu Überflutungen, gefolgt von Austrocknung und noch mehr Erosion. Und so weiter.

Nebenwirkungen des Friedensabkommens

Wie konnte es in Kambodscha so schnell dazu kommen? Die Unterzeichnung des Pariser Friedensabkommens hatte zwei unerfreuliche Nebenwirkungen, die vorhersehbar hätten sein können. Der unregulierte Übergang von einer Kommando- zur Marktwirtschaft öffnete das Land weit für kurzfristige Ausbeutung durch ausländische Geschäftsinteressen. Gleichzeitig war die Kasse der bisherigen kambodschanischen Regierung („State of Cambodia“, SOC) leer. So drängte es sie ebenso wie ihre ehemaligen Gegner nach schnellem Geld und harter Währung. Folge: Binnen 18 Monaten kamen praktisch alle aktuellen und potentiellen natürlichen Ressourcen in irgendeiner Form unter ausländische Kontrolle.

Aus heutiger Sicht ist klar, daß das Pariser Friedensabkommen der UNTAC kaum Handhabe gab, Kambodschas bekannte natürliche Ressourcen zu überwachen oder die Vergabe von Konzessionen wirksam zu regulieren. Darüber hinaus weigerten sich die Roten Khmer – anders als ihre beiden Koalitionspartner im Bürgerkrieg, die FUNCINPEC Prinz Ranariddhs und die KPLNF des ehemaligen Premiers Son Sann – ihre Gebiete unter Aufsicht der UNO- Übergangsverwaltung zu stellen. Verschärft wurde dies durch die Entwicklung in den unmittelbaren Nachbarländern Kambodschas: In Thailand wurde die Abholzung im Januar 1989 verboten, Laos verstärkte im August 1991 die Kontrollen über den Waldeinschlag, und Vietnam erließ im März 1992 ein Verbot des Exportes von Holzstämmen und gesägtem Holz. So wandten sich thailändische Holzhändler und illegale vietnamesische Gruppen Kambodschas economie sauvage zu.

Folge dieses Zusammenbruchs der staatlichen Autorität in Kambodscha: UN-Schätzungen zufolge betrug der Holzexport Kambodschas im Jahre 1992 1,5 Millionen Kubikmeter. Davon wurden 57 Prozent (im Wert zwischen 51 Millionen oder, je nach Bewertungsgrundlage, 94,6 Millionen US-Dollar) illegal nach Thailand und Vietnam geschafft. Zwar hat der Oberste Nationalrat Kambodschas (SNC) ein Moratorium über den Holzexport verhängt, das am 1.1.1993 in Kraft trat, und später Quoten für den Export gesägter Hölzer festgelegt. Doch in den ersten fünf Monaten diesen Jahres meldete die UNTAC 103 Fälle, bei denen das Exportverbot vorsetzlich verletzt wurde. Das betraf 67.446 Kubikmeter – und dabei sind die Gebiete unter Rote-Khmer-Kontrolle noch nicht eingerechnet. Die damit verbundenen Summen sind beträchtlich: Ob man den Preis zugrunde legt, den die Laoten zu zahlen bereit sind (50 bis 60 US-Dollar pro Kubikmeter) oder den aktuellen Weltmarktpreis für hochwertige Hölzer (110 US-Dollar).

Vor allem in der Gegend von Koh Kong sind die legalen Quoten großzügig überschritten worden. Im Frühjahr schlossen der Gouverneur von Koh Kong und sein Amtskollege in der angrenzenden thailändischen Provinz ein Abkommen. Dieses gibt den Thailändern freie Hand in bezug auf Geschäfte und Einwanderung in Koh Kong – ohne entsprechende Gegenleistung.

Es wird nicht nur zuviel abgeholzt, sondern auch in rücksichtslosester Weise. Zwei Beispiele können dies illustrieren:

Koh Kong Island, ein bis vor kurzem unberührter und fast völlig unbewohnter Ort, ist in etwa drei Stunden Fahrt mit einem Schlepper von thailändischen Gewässern aus zu erreichen. Die Insel ist zum Wildwest für Abholzer geworden, unter der schützenden Hand eines Provinzgouverneurs, der so tut, als sei er selbst das Gesetz. Die Küste ist mit Trockendocks und Beladepunkten gesprenkelt. Der Urwald wird attackiert, als ob es kein Morgen gäbe. Bei einem Besuch im Juni sah ich, wie thailändische Arbeiter und kambodschanische Militärs mit Kettensägen und Bulldozern alle Bäume niedermachten, die ihnen vor die Maschinen kamen. Die kommerziell nutzbaren Stämme wurden dann an das Wasser gerollt, der Rest blieb liegen und verrottete. Die Ergebnisse sprechen für sich selbst: Zerstörte Wasserläufe und Strände, viel zu steile Schleppschneisen an den Berghängen. Und auf den Trockendocks warteten zum Zeitpunkt der Beobachtung schätzungsweise 8.000 Kubikmeter Holz auf ihren Abtransport. Bei der Rückfahrt zum UNTAC-Marinestützpunkt von Ream lag ein in Thailand registriertes Schiff vor einer der kambodschanischen Inseln. Beladen mit 2.550 Kubikmetern gesägtem Holz im Wert von einer Million US-Dollar, wie aus den Unterlagen eines japanischen Käufers ersichtlich wurde.

Ein weiteres Beispiel für die jeder Kontrolle entglittene Ausplünderung ist der Nordosten des Landes an der Grenze zu Laos. Hier, in der Provinz Stung Treng, ist der Einschlag besonders risikolos und profitabel: Einerseits gibt es wertvolle Hölzer in üppiger Vielfalt, die über eine unkontrollierbare Grenze leicht zugänglich sind. Andererseits arbeiten die Provinzbehörden und das Militär eng mit den Käufern zusammen, die eine laotische Regierungsbehörde repräsentieren, die „keine Fragen stellt.“ Die Kosten für Abholzung und Transport werden auf 10 US Dollar pro Kubikmeter geschätzt. Die Laoten bezahlen 50 US-Dollar, und auf dem Weltmarkt können bis 110 US-Dollar erzielt werden.

Holzfachleuten zufolge werden Extraktionsmethoden, die andernorts dazu führen würden, daß die Gerichte den Betreibern die Konzessionen entziehen, unverblümt gefördert, um soviel Holz in so kurzer Zeit wie möglich herauszuziehen – ohne Blick auf die Konsequenzen. 7.000 Kubikmeter lagerten im Juni an der Grenze zu Laos, bereit für den Weitertransport nach Thailand.

Auch aus den Provinzen, die an Vietnam grenzen, wird von ähnlichen Aktivitäten berichtet. Dort wurden Anfang 1992 zwischen 2.500 und 3.000 Kubikmeter pro Tag aus dem Lande geschafft. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 250.000 bis 300.000 Kubikmeter herausgebracht, bevor die vietnamesischen Behörden begannen, die Grenzen zu schließen.

1992 und in den ersten Monaten dieses Jahres haben illegale Holzschlagexporte allein durch die ehemalige Regierung Hun Sen ausländischen Händlern und ihren kambodschanischen Komplizen rund 3,3 Millionen US-Dollar pro Monat eingebracht – davon landete aber nichts in der Staatskasse. Es ist bittere Ironie, daß die UNTAC angesichts der fehlenden Regierungsfinanzen monatlich fünf Millionen US-Dollar zur Verfügung stellt, um die Soldaten und Staatsangestellten in der nächsten Zeit bezahlen zu können.

Das Holzeinschlagverbot des kambodschanischen Obersten Nationalrates hat zwar den Handel etwas verlangsamt, gestoppt werden konnte er jedoch nicht. Und obwohl es genügend Beweise und Zeugen gibt und hochrangige Verwaltungsbeamte, Funktionäre der verschiedenen politischen Fraktionen und Militärchefs namentlich benannt werden können, hat die unpolitische Haltung der UNO die Übergangsverwaltung daran gehindert, daß diese Informationen in der Vorwahlzeit veröffentlicht wurden. Ohne die Kooperation der thailändischen, laotischen und vietnamesischen Regierungen – ganz zu schweigen von den Spitzen der kambodschanischen Politik – kann die UNTAC nicht viel tun. Denn sie darf weder Holz beschlagnahmen noch die Gesetzesbrecher bestrafen.

Wer bezahlt den Schutz der Wälder?

Kurz: Hier geht es um Korruption des öffentlichen Sektors, einen Mangel an politischem Willen kombiniert mit der Habgier der privaten Geschäftswelt der benachbarten Länder. Und die ländliche Bevölkerung in Kambodscha zieht daraus keinen längerfristigen Vorteil. Sie kann nur durch kurzzeitige Arbeit beim Holzeinschlag etwas verdienen. Auch die finanziell ausgepowerten öffentlichen Kassen verdienen dabei so gut wie nichts, weil kaum jemand die Exportsteuern wirklich bezahlt.

Wenn Kambodscha nicht wie Thailand enden soll – wo drei Viertel des Landes zu Beginn des Jahrhunderts noch von Wald bedeckt waren und es nun nur noch 28,8 Prozent (einige Schätzungen sprechen von 18 Prozent) sind, dann muß schnell gehandelt werden. In Kambodscha selbst muß die Regierung einen Rahmenplan für eine langfristig wirksame Entwicklung formulieren und sich der Unterstützung der Bevölkerung versichern. Das heißt vor allem, sie muß einen sozialen und wirtschaftlichen Wandel anstreben, der es der gegenwärtigen Generation erlaubt, ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen, ohne dies auf Kosten der zukünftigen Generationen zu tun.

Ein Aktionsprogramm, das die provisorische Regierung kürzlich angenommen hat, sieht unter anderem vor, „den Wald durch die Anwendung strikter Regelungen über die Nutzung“ zu schützen und zu erhalten, und „den Holzexport im Rahmen bestehender Gesetze und Regelungen zu kontrollieren.“ Um effektiver als das schon bestehende Exportverbot zu sein, müssen diese Vorschriften mit Instrumentarien für ihre Umsetzung verbunden werden.

Bis dies aber geschieht, ist eines unumgänglich: Die gegenwärtige eklatante illegale Ausbeutung muß aufhören. Die Nachbarländer müssen entsprechend avisiert und die Wiederaufforstung zu einer dringenden Priorität gemacht werden – die nicht mehr auf unbestimmte Zukunft verschoben wird.

Schuldenerlaß gegen Schutz des Regenwaldes

Dafür sollte auch Hilfe von außen gesucht werden. Eingangs wurde gesagt, daß Kambodscha das größte zusammenhängende Waldgebiet in Asien hat. Wenn gezeigt werden kann, daß Kambodschas Wälder nicht nur dem eigenen Land gehören, sondern auch wichtiger Bestandteil des globalen Ökosystems sind und ihre weitere Abholzung zur globalen Erwärmung beitragen würde, dann läge es im eigenen Interesse der Weltgemeinschaft, Anreize für eine optimale Regenwaldpolitik in Kambodscha zu schaffen und zu finanzieren. Dafür bietet sich ein einfacher Handel an: Gegenwärtig ist Kambodscha bei den OECD-Ländern – dem „Club der Reichen“ – mit mindestens 279 Millionen US- Dollar verschuldet. Im Gegenzug zur Erlassung dieser Verpflichtungen könnte Kambodscha seine Bereitschaft zeigen, zusätzliche Schritte zur Erhaltung seines einzigartigen natürlichen Reichtums zu unternehmen. Die Ausplünderung seiner Waldressourcen ist nicht der Armut der ländlichen Bevölkerung geschuldet. Allerdings brauchen die Armen des Landes die richtige Unterstützung, um nicht dem heute so verbreiteten kurzsichtigen Materialismus ausgeliefert zu sein.

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