: Das Geschäft mit der Sicherheit boomt
■ Trotz Rezession findet „Sicherheitstechnik“ reißenden Absatz / Heute wird die „SiTech Berlin 93“ eröffnet / Was braucht man, um seine Wohnung in eine Festung zu verwandeln?
„Alle 15 Minuten wird in Berlin eingebrochen. Das sind weit über 30.000 Brüche im Jahr. Ist Ihr Eigentum sicher? Können Sie in Ruhe Ihr Zuhause verlassen?“ Nein, spätestens nach der Lektüre dieser Werbeanzeige der Firma Secom kann man nicht mehr ruhig schlafen oder gar ruhigen Herzens seine Wohnung verlassen, jedenfalls nicht ohne einen elektronischen Bewegungsmelder für 1.490 Mark. Für die Hersteller von Sicherheitstechnik kann die Einbruchsstatistik gar nicht hoch genug sein – Angst ist der erste Kaufanreiz.
Die Branche boomt, trotz oder vielleicht gerade wegen der Rezession. Auf der „SiTech“, der „Fachmesse für Sicherheit und Sicherheitstechnik“, die heute am Funkturm ihre Tore öffnet, wird alles zu bestaunen sein, was man braucht, um sein Eigenheim in eine uneinnehmbare Festung zu verwandeln, die Wohnung zum Panzerschrank zu machen, die Firma zum elektronisch und mechanisch geschützten Hochsicherheitstrakt. Das Volk der Ostseestrandburgen dürfte strömen.
Die Branche kommt mit wenig Werbung aus. Das übernehmen schon die Kriminalstatistik und die Mund-zu-Mund-Propaganda. Wo in einem Mietshaus einmal eingebrochen wurde, können in kürzester Zeit Veränderungen beobachtet werden. Plötzlich gehen Schlüsseldienste ein und aus, und wo eben noch Schließzylinder aufreizend hervorragten, sind jetzt aufbohrsichere Beschläge über das Schloß gesetzt, die ein Herausbrechen des Zylinders verhindern sollen.
Diese Verteidigungsmaßnahme ist noch die preiswerteste: Solche Beschläge sind schon ab 120 Mark zu bekommen. Wo in der Mitte der Tür plötzlich noch ein Schloß hervorlugt, ist ein Querriegel eingebaut worden, der verschlossen auf beiden Seiten der Tür Verankerung findet. Eine solche Sicherheitsvorkehrung wird dann schon teurer: Je nach Beschaffenheit der Tür und Qualität des Riegels müssen 300 bis 900 Mark zuzüglich Mehrwertsteuer und Einbaukosten berappt werden. In der MieterInnenstadt Berlin ist damit auch schon das wichtigste zur Sicherung vor Einbrüchen geleistet: 80 Prozent der Einbrecher in Mietwohnungen kommen tatsächlich durch die Tür.
Als erstes Bundesland hat Berlin schon 1989 Sicherheitsaspekte in die Bauvorschriften des sozialen Wohnungsbaus aufgenommen. Die oben erwähnten Beschläge sind genauso Vorschrift wie einbruchsichere Rolläden für die Erdgeschoßwohnungen. Wem das nicht reicht, der kann sich auch eine ganz neue Tür einbauen. „Sicherheit lebenslänglich“ verspricht die Firma Wassner aus Charlottenburg ihren Kunden, und wer sich davon nicht abschrecken läßt, der kann für Preise zwischen 1.890 Mark und 4.500 Mark eine Tür installieren lassen, die „mit 21 Stahlstäben und 4 Stahlrohren unsichtbar verstärkt“ der DIN-Norm für Einbruchhemmung der Klasse ET2 (höherer Widerstand gegen Einbruch) genügt.
Der menschlichen Paranoia sind keine Grenzen gesetzt. Diebe und Spione lauern überall. In den Sicherheitsanlagen der Firmen gehört die Videoüberwachung schon zum alten Eisen. Elektronisch kann die Zugangsberechtigung zu „sensiblen Industriebereichen“ per Abtastung der Netzhaut durch Lasertechnik überprüft werden. Wer Einlaß begehrt, muß in ein Okular schauen, dann tastet ein Laser die Augenhinterwand ab und vergleicht das Bild elektronisch mit dem gespeicherten Foto – völlig ungefährlich, versichert die Industrie. Auch die guten alten Fingerabdrücke sind noch aktuell: In Abtastgeräte muß, wer die Gnade des Zugangs begehrt, seine Hand hineinlegen.
Diese Geräte können mittlerweile nicht nur Fingerabdrücke erkennen, sondern auch, ob da auch wirklich ein ganzer Mensch dazugehört und nicht ein Schelm ein Foto oder gar einen Plastikfinger zur Abtastung in die Identifizierkiste geschoben hat. „Lebendfingerspektogramm“ heißt das dann und erkennt das pulsierende Blut im Finger. Soviel Vorsicht tut Not, hieß es auf der Eröffnungspressekonferenz der Sicherheitsmesse, weil vor allem die Entwicklungsländer uns ausspionieren, die die Kluft zwischen Arm und Reich durch gemeinen „geistigen Diebstahl“ überwinden wollen. Sicherheitstechnik lebt nun mal von der Bedrohung, von den Ängsten. Bernd Pickert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen