: El Salvador: Schwindel vorprogrammiert
■ Auch El Salvadors Wahlen sind gefährdet – durch falsche Wahllisten
San Salvador (taz) – Am 20. März 1994 sollen in El Salvador gleichzeitig der Nachfolger von Präsident Cristiani, eine neue Nationalversammlung, die Gemeindevertretungen und die Abgeordneten für das Zentralamerikanische Parlament gewählt werden. Doch zwei Monate vor der Schließung der Wahlregister sind noch 600.000 Tote wahlberechtigt, während fast eine Million Staatsbürger vom Stimmrecht ausgeschlossen sind. Die Erneuerung des Wahlregisters wird von oberster Stelle boykottiert, versichern nicht nur die linken Oppositionsparteien, sondern auch Angestellte des Obersten Wahltribunals. Der US- Botschafter Peter Romero erklärte letzte Woche, daß die Auszahlung von 35 Millionen Dollar davon abhinge, daß „das Oberste Wahltribunal alles unternimmt, damit alle potentiellen Wähler, die noch keinen Ausweis haben, rechtzeitig registriert werden“.
„Wir können unsere Aufgabe gar nicht erfüllen, weil es uns an den primitivsten Werkzeugen fehlt“, klagt Sonia de Valles, Vorsitzende der Gewerkschaft des Obersten Wahltribunals. Nicht einmal Kugelschreiber und Papier stünden ihnen zur Verfügung. „Immer wieder müssen wir Leute wegschicken, weil wir keine Formulare haben“, erzählt Carolina Guardado, Verantwortliche für die Datenbank. Was mit den über fünf Millionen Dollar passiert ist, die die US-Agentur AID für das Wahlregister bereits gespendet hat, können die Frauen nur vermuten: „Eduardo Colindres, einer der Chefs, hat sich gerade für 30.000 Dollar ein Auto gekauft.“ Die Mitglieder des Obersten Wahltribunals „kommen nur vorbei, um ihr Gehalt zu kassieren und ihre Parteiaktivitäten zu organisieren“, versichert Sonia de Valles. Sie wurde inzwischen aus der regierenden Arena-Partei ausgeschlossen. Im Haus von Carolina Guardado erschienen eines Nachts bewaffnete Männer und stellten alles auf den Kopf.
Die Mehrheit der über 800.000 nicht registrierten Salvadorianer sind zurückgekehrte Flüchtlinge, Bewohner der einst von der FMLN-Guerilla kontrollierten Gebiete und Leute, die nach der Wahlbetrugsserie der 70er und dem Krieg der 80er Jahre das Vertrauen in die Institutionen verloren haben. Kein Wunder, daß die alten Parteien wenig Interesse haben, diese Staatsbürger abstimmen zu lassen. Denn bei den Wahlen wird sich die zur Partei gewandelte ehemalige Guerillafront FMLN erstmals den Wählern stellen.
Um einen Wahlausweis zu bekommen, muß man seine Geburtsurkunde oder einen Personalausweis vorlegen. Für Kleinbauern, die im Krieg vor den Massakern der Armee flohen, sind diese Dokumente nicht leicht beizubringen. Und die Gemeindeämter in den Dörfern, wo die Personalregister liegen, sind oft von den Guerilleros geplündert oder niedergebrannt worden. Die meisten Leute wissen auch gar nicht, wie und wo sie ihren Wahlausweis beantragen müssen. In einer ersten Einschreibkampagne im Januar und Februar, deren Plansoll die Ausstellung von 300.000 Wahlausweisen war, wurden gerade 11.000 Personen registriert. „Das Problem ist die mangelnde Mobilisierung“, erklärt Hector Acevedo, Geschäftsführer der „Salvadorianischen Vereinigung für Frieden und Demokratie“ (ASPAD). Die Organisation wurde im Februar auf Initiative der FMLN gegründet, um das Wahlvolk zu den Urnen zu bekommen. „Wir machen keine Parteipropaganda“, versichert Acevedo. Die Arbeit von ASPAD ist jedenfalls so effizient, daß das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) seine Mittel über die Organisation kanalisiert. ASPAD hat mehr als 200 Promotoren ausgebildet, die von Haus zu Haus gehen, um den Leuten die Wahlregistrierung zu erklären. Mit Erfolg: Seit den letzten Augusttagen haben täglich durchschnittlich 5.000 Bürger ihren Wahlausweis beantragt.
Damit sind aber noch nicht alle Hindernisse umschifft. Denn das Dokument, das 30 Tage nach der Antragstellung fertig sein sollte, wird mit großer Verspätung vom Obersten Wahltribunal an die Gemeinden weitergeschickt. Die von den Vereinten Nationen versprochenen Sofortbildkameras liegen noch immer in Angola, wo sie bei den Wahlen vom September 1992 gebraucht wurden.
Hector Acevedo hofft, daß bis zum Ende der Einschreibfrist am 20. November 400.000 bis 450.000 neue Wähler eingetragen werden können. Insgesamt könnten dann 85 Prozent der potentiell Wahlberechtigten abstimmen. Gleichzeitig müßte aber das alte Register nach Verstorbenen und Doppeleintragungen durchforstet werden. Aber Tote sind schwer zu identifizieren, da während des Krieges in vielen Gemeinden keine Sterberegister geführt wurden. Laut Auskunft der Angestellten des Obersten Wahltribunals werden auch keinerlei Anstrengungen unternommen. Ralf Leonhard
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