: Der komplizierte Fall
■ Schülerhilfe berät bei Zeugnissorgen / Und auch der juristische Widerspruch ist möglich Von Kaija Kutter
Wenn heute die Familienkaravanen auf den Autobahnen in die Ferien düsen, sind die gestern verteilten Giftblätter meist schon längst vergessen. Das ein oder andere Kind grämt oder ärgert sich vielleicht aber doch über die ungerechte 5 in Mathe oder 4 minus in Latein - oder aber, die Ferien sind durch die verhängte Nicht-Versetzung gründlich verhagelt.
Was kaum bekannt ist, aber doch jeder wissen sollte: Das Zeugnis ist als Ganzes ein Verwaltungsakt, gegen den Eltern und Schüler Widerspruch einlegen können. Zunächst beim Schulleiter, dann beim zuständigen Oberschulrat und in letzter Instanz bei einem eigens an der Schulbehörde angesiedelten Widerspruchausschuß, dem sogar Bürgerschaftsabgeordnete angehören.
Zu diesem Schritt raten gelegentlich die Psychologen der Schülerhilfe, deren Beratertätigkeit in diesen Tagen vor Ferienbeginn Hochkonjunktur hat. Insgesamt, so bilanziert der Leiter Michael Grüner, gebe es den „Trend hin zum komplizierten Fall“. Immer häufiger riefen Eltern, aber auch Schüler, an, die sich die Wertung der Lehrer nicht gefallen lassen wollten.
Das Problem beim Widerspruch: er hat keine aufschiebende Wirkung. Bevor die Instanzen entscheiden, kann viel Zeit vergehen. Grüner sieht den Sinn im juristischen Protest vor allem in der „psychologischen Wirkung“, die dieser hat. Weit hilfreicher seien Gespräche der Schülerhilfe-Mitarbeiter mit den Betroffenen.
Dabei kommt das klassische „Sitzenbleiben“ in Hamburg seltener vor: Dies ist an Gesamtschulen nicht vorgesehen. Wohl aber gibt es häufig Kritik an der vom Lehrer getroffenen Schullaufbahn-Empfehlung.
Ein überholtes Klischee dabei ist, daß es stets die Eltern sind, die ihre Sprößlinge zum Abitur vorantreiben. Grüner weiß von Eltern zu berichten, die - entgegen der Empfehlung der Lehrer - fordern, daß ihr Kind sitzenbleibt, damit es nicht überfordert wird. Da sei es im Gespräch zu klären, so Grüner, ob dem Kind durch die bloße Wiederholung des Stoffs geholfen sei.
Die meisten Grundschüler erhalten heutzutage statt der klassischen Noten einen Bericht. Aber auch diese Textchen können blöd verfaßt sein. Sinnvoll sei der „intraindividuelle Vergleich“, der dem Schüler seine eigenen Fortschritte und Lücken vor Augen führt, sagt Grüner. Streß bei den Kindern verursachen dagegen die Vergleiche, die die Leistungen des Kindes mit denen der Mitschüler in Beziehung setzen.
Also, ob bei Streß oder Protest: Eltern und Schüler mit Zeugnissorgen können am Montag das Beratungstelefon der Schülerhilfe anrufen: 2577-1815-1 (9 bis 16 Uhr).
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