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Fußballchöre fürs Volk

Nichts ist unmöglich im Reiche der Stadionunterhaltung: Die Sex Pistols erbrachten in Berlin den Beweis, daß der Rock'n'Roll rund ist  ■ Von Thomas Groß

Hey, kommste mit alte Männer kucken (wie sie sich zum Affen machen)? Sex Pistols über Berlin, da geh'n wir hin, egal, wie tot oder wieder-lebendig-geschrieben die Leiche seit der Ankündigung ihres Comebacks einhergepunkt kommt. Man will sie einfach zappeln sehen, mitkriegen, wie die Mannschaft sich aus der Affäre zieht, in die sie sich ohne äußere Not und höchstens für ein paar Pfund mehr hineingerevivalt hat. Wetten wurden ja auch reichlich abgeschlossen: Punktsieg für die Pistols (weil: doppelt negiert hält besser, und so sei Wertezerstören heute nun mal) oder doch Verrat am Spirit of 77? Soviel Bedeutung kann man sonst höchstens in den Fußball hineinpumpen.

Die Bühne hält sich an die sportive Vorgabe und sieht aus, als müßte die „ohne Zweifel radikalste Band der Rock-Geschichte“, die vor bald 20 Jahren „als erdrutschartige Schockrevolte über die Kulturlandschaft gekommen war“ (Stadtmagazin Zitty – Stil zählt nicht, nur das Ergebnis!) ein Endspiel gegen sich selbst bestreiten. Die Trommeln tragen Union- Jack-Farben, die Boxen ziert die Englandfahne. Über dem Ganzen wiederum in lockerer Hängung Presseausschnitte und Schlagzeilen, die die Heldentaten von einst bezeugen: Sex Pistols sagen FUCK! in Fernsehshow! Und das berühmte Zitat aus dem Daily Mirror: „Punk? It's only filthy lucre!“ (schnöder Mammon), zugleich das Motto der Tour. Das ist es, was wohlmeinende Vorberichterstatter mit „entwaffnender Ehrlichkeit“ gemeint haben.

Die Stimmung in der Industrieruine „Arena“ ist denn auch gar nicht kulturpessimistisch, vielmehr stelldicheinmäßig und voller Outfits, die man so schon lange nicht mehr gesehen hat – irgendwo auf dieser Welt werden noch Irokesen in Heimarbeit erstellt. taz-Fotograf Roland Owsnitzki, den man, ohne ihn zu beleidigen, einen Veteranen der Berliner Endzeit von 1977 ff. nennen darf, hat die Pistols schon in Roskilde gesehen und findet, es sei ohnehin mehr Rottens Stimme, „die das Ganze trägt“. Er hat seinem 18jährigen Neffen zur Volljährigkeit eine Karte geschenkt, und auch der sieht die Sache eher unideologisch: die Vorbands Gago, Shelter und Bert'z Rache – ganz okay, nur der „Sound leider nicht so gut“.

Warten auf den Hauptevent, während die mosh pit ganz vorne sich füllt und verdichtet. Über die Hallenanlage spielen sie so Sachen wie „Whigwam Bam“ oder „Chirpy chirpy cheep cheep“ von Middle of the Road, einst gehaßt, jetzt urbritische Stadioneinheizerhymnen, und als der Spot auf Johnny Rotten endlich angeht, sagt er: „We are the Sex Pistols!“ – als könnte es daran Zweifel geben.

Sie sehen aber auch wirklich besser aus als befürchtet, irgendwie müssen sie im Stillen trainiert haben. Gitarrist Steve Jones kann sich ohne weiteres einen Auftritt im engen T-Shirt leisten, Glen Matlock, der den unglücklichen Sid Vicious am Baß überlebt hat, macht das Beste aus seiner wenig spektakulären Erscheinung, Paul Cook sieht man hinter dem Schlagzeug sowieso nicht, und Rotten muß man zumindest Repertoiresicherheit zugute halten. Er hat die Haare zur Punkkrone emporfrisiert, steckt der Masse regelmäßig humorvoll den Lederarsch entgegen – genau da könnt ihr mich mal, harhar!

Auch gockelt er kaum, macht mit Würde und Anstand das Kasperle, schämt sich vielleicht sogar ein bißchen, weil er alle naslang fragt: „Do you really want some more of this stuff?“ Die Sex Pistols haben nämlich ankündigungsgemäß nix dazugelernt und bringen bloß eine Stunde lang die alten Hits: „Pretty Vacant“, „No Feelings“, „Bodies“, „Holidays In The Sun“ (mit der KZ-Zeile „I want to go to a New Belsen“ – rauscht unbemerkt vorüber), natürlich „Anarchy In the UK“, der Antichrist als Zugabe. Nicht zu vergessen die große Glöckner-von-Notre- Dame-Nummer: „God save the queen“. „NO FUUUUUUTURE, NO FUUUUUTURE“ – nie war so klar, daß das eigentlich Fußballchöre sind, die sich im Herzenskämmerlein ihres unerlösten Hooliganismus schon immer nach dem großen Punk-Woodstock gesehnt haben. Die 400 anwesenden, teils weithergereisten Journalisten im Publikum arbeiten im Geiste schon an (puh!) ihren Stories, der Rest spritzt einfach mit Bier.

„Destroy!“ plärrt Rotten noch zwischen den Stiftzähnen hindurch und „Let's say good night, fuck off!“ – was soll er auch anderes sagen? Die Pistols haben die Sache sauber durchgezogen und das Pferd zu Tode geritten. Sie haben intellektuellen Deutungszauberern wie Greil Marcus – der in Rotten einmal eine Stimme hörte, „die sämtliche gesellschaftlichen Fakten leugnete und dadurch beteuerte, daß alles möglich war“ – die Luft rausgelassen. Und sie haben ihm treppenwitzartig recht gegeben. Nichts ist unmöglich, es gibt keinen Fortschritt in der Stadionunterhaltung. Der Rock'n'Roll ist rund, und wenn man lange genug auf ihn eindrischt, endet alles bei den Rolling Stones.

„Schon mal das Gefühl gehabt, daß man euch beschissen hat?“ Das waren die Worte, mit denen die Sex Pistols am 15. Januar 1978 ihr vorerst letztes Konzert im Winterland, San Francisco, abwürgten. Soll keiner sagen, er habe es nicht gewußt.

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